Zu Beginn des Romans „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“
beschreibt sich Hildegunst von Mythenmetz selbst als den größten Schriftsteller
Zamoniens und berichtet davon, wie er seine Tage auf der Lindwurmfeste verbringt,
nämlich mit dem hingebungsvollen Verzehr von Mahlzeiten,[1]
„dem dilettantischen Spiel auf der Klavorgel“[2]
und dem Lesen von „Verehrerpost“[3].
In dieser „Verehrerpost“ befindet sich ein schlechtgeschriebenes Manuskript,[4]
in dem Mythenmetz „[s]ein[en]
Stil, [s]eine Wortwahl, [s]eine bandwurmlangen Schachtelsätze“[5]
wiedererkennt und sich zugleich „[a]ls Parodierter vollkommen durchschaut und
gedemütigt“[6]
fühlt. Dieses Manuskript lässt ihn sich selbst fragen: „Schrieb ich tatsächlich
solch ein grauenhaftes, völlig ormloses Zeug?“[7]
und ihn retrospektiv einsehen, dass das, was er „damals für den Gipfel [s]einer
Laufbahn hielt, [...] in Wirklichkeit ihren absoluten Tiefpunkt“[8]
markierte. Als Absender dieses Manuskripts wird:
Hildegunst von Mythenmetz [, der Buchling, der nach dem Dichter benannt wurde,]Buchhaim, Zamonien
Mittlere Katakomben
Lederne Grotte[9]
angegeben. Ferner enthält es das Postskriptum „P.S. Der Schattenkönig ist zurückgekehrt.“[10]
Dieses Manuskript veranlasst schließlich den Lindwurm
Hildegunst von Mythenmetz „einen kurzen Brief mit hexametrischen
Abschiedsversen“[11] zu
verfassen und zum zweiten Mal die Lindwurmfeste in Richtung Buchhaim zu
verlassen. Nach kurzer Reise und einer Auseinandersetzung mit einem Zwerg am
Stadttor Buchhaims betritt Mythenmetz, mehr als zweihundert Jahre nach seinem
ersten Besuch, abermals die Stadt, diesmal jedoch inkognito.[12]
Dort angelangt schildert er seinen Lesern in vier von ihm als „Mentalgemälde“[13]
bezeichneten Ausführungen seine ersten Eindrücke des neuen Buchhaims.[14]
In Begleitung einer „,Lebenden historische[n] Zeitung[...]‘“[15],
die ihm einige der Veränderungen und Neuerungen Buchhaims anhand alter
Zeitungsartikel schildert, lernt Hildegunst von Mythenmetz das neue Buchhaim
kennen.[16]
Beim anschließenden Besuch eines Qualmoirs, in dem Mythenmetz eigentlich nur
eine Pfeife rauchen möchte, trifft er auf den ihm von früher bekannten Lindwurm
Ovidios von Versschleifer, der ihm von seiner sowie Buchhaims Vergangenheit und
von den Eigenheiten der derzeitigen Bewohner der Stadt erzählt.[17]
Hierauf durchstreift Hildegunst von Mythenmetz planlos die Straßen Buchhaims
und widmet sich beherzt den kulinarischen Spezialitäten sowie dem Wein der
Stadt.[18]
Tags darauf besucht Mythenmetz, aufgrund eines alten Streits nicht ohne
Widerwillen, seinen alten Freund Hachmed Ben Kibitzer, einen Eydeeten, in
dessen Antiquariat, in dem sich ebenfalls die mit ihnen befreundete Schreckse
Inazea Anazazi befindet. Dort erfährt er erstmals von der tödlichen Krankheit
seines eydeetischen Freunds und dass dieser im Begriff ist zu sterben. Die
beiden Freunde erklären Hildegunst von Mythenmetz, dass sie ihm den Brief mit
dem Manuskript „weitergeleitet“[19]
haben und Inazea Anazazi berichtet davon, wie sie durch einen Librinauten[20]
in dessen Besitz geriet. Hachmed Ben Kibitzer spricht sich vor seinem Ableben
dafür aus, dass das Manuskript von Homunkoloss, dem Schattenkönig,[21]
stammen könne.[22]
Nachdem Inazea Anazazi die Bestattung sowie den Nachlass
des Eydeeten Hachmed Ben Kibitzer organisierte und Hildegunst von Mythenmetz
zeitgleich durch Buchhaim irrte und unter anderem einen Puppenbauer lautstark
kritisiert, besuchen die beiden gemeinsam im „Puppaecircus Maximus“[23]
ein Theaterstück.[24]
Das dort gezeigte Theaterstück ist eine Inszenierung von Mythenmetz’ Roman „Die
Stadt der Träumenden Bücher“, was Hildegunst von Mythenmetz als dessen Autor
und als Zuschauer des Theaterstücks dazu veranlasst sich mitunter im Detail mit
diesem und mit seinem Roman auseinanderzusetzen, so auch, was Gemeinsamkeiten
und Unterschiede angeht.[25]
Diese Vorstellung des Puppetistischen Theaters begeistert Mythenmetz dermaßen,
dass er „[v]om nächsten Tag an“[26],
teils geführt von der Schreckse Inazea Anazazi,[27]
teils im Alleingang[28]
oder im Selbststudium[29],
sich dem Puppetismus zuwendet und derart sukzessiv einen besseren Überblick
über diesen und seine verschiedenen Spielarten erhält.[30]
So meint Mythenmetz, dass er „[i]m fortgeschrittenen Lindwurmalter [...] nun
ein wissbegieriger Student des Puppetismus“[31]
wurde und „ein Buch über den Puppetismus [...] schreiben [wolle]. Eines, wie es
noch keines gab.“[32]
Hildegunst von Mythenmetz gibt sodann in all seinen
Einzelheiten ein Gespräch mit einem Librinauten wieder, das er während der
Pausen eines Theaterstücks mit ihm führte[33]
und schildert hierauf verschiedene Formen des Puppetismus und betont dabei die
Wichtigkeit des „Puppaecircus Maximus“ für den Puppetismus und somit für das
neue Buchhaim.[34]
Anschließend berichtet er über ein Gespräch mit Corodiak
Smeik, dem Leiter des „Puppaecircus Maximus“ und nach eigener Aussage dem
Zwillingsbruder von Hagod Saldaldian Smeik.[35]
Hagod Saldaldian Smeik war, wie Mythenmetz in „Die Stadt der Träumenden Bücher“
schildert, von seinem Neffen Phistomefel Smeik „auf hinterhältige und grausame
Weise und aus niederen Motiven ermordet“[36]
worden. Phistomefel Smeik beherrschte alsbald den Buchhaimer Buchmarkt und
lenkte die Stadt aus dem Hintergrund. Als der junge Hildegunst von Mythenmetz
über zweihundert Jahre zuvor erstmals Buchhaim betrat, verbannte Phistomefel
Smeik ihn in die Katakomben, bevor Smeik schließlich beim Brand von Buchhaim
starb, jedenfalls nach den Ausführungen von Mythenmetz in „Die Stadt der
Träumenden Bücher“.[37]
In einem Gespräch in „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ spricht Corodiak
Smeik mit dem älteren Hildegunst von Mythenmetz nicht nur über seine Rolle
innerhalb des Puppetismus, sondern sich auch für die Einzigartigkeit des
„Unsichtbaren Theaters“ aus.[38]
Mythenmetz, der unter dem Pseudonym Mythold von Silbenschmirgler bei Corodiak
Smeik vorstellig wurde,[39]
erhält nach seinem Wunsch von ihm eine Eintrittskarte für das „Unsichtbare
Theater“.[40]
Noch am selben Tag hatte ich versucht, Inazea zu sehen, um ihr von meiner Begegnung mit Corodiak zu berichten. Aber ihr Antiquariat war verschlossen, und sie reagierte auch nicht auf mein Klopfen. [...] Ungewöhnlich war, dass sie gegen ihre Gewohnheiten keine Nachricht für mich an der Tür hinterlassen hatte[41],
berichtet Mythenmetz, schildert daraufhin seine schlaflose
Nacht und dass er sich am nächsten Morgen eine Stunde zu früh in einer
Buchhandlung einfand, von der ihn eine Kutsche zum „Unsichtbaren Theater“
bringen soll.[42] In
der Kutsche reisen außer ihm „ein Nebelheimer Organist aus dem Cirucs Maximus“[43],
ein „graubärtiger Druide“[44]
und der „Zwerg, mit dem [...] [er] gleich bei [s]einer Ankunft in Buchhaim
aneinandergeraten war“[45],
zu jener Vorstellung des „Unsichtbaren Theaters“. Durch die sogenannte „Giftige Zone“[46]
fährt die Kutsche sie zum „Phistomefel-Rüssel“[47],
an jenen Ort, an dem einst das Haus von Phistomefel Smeik stand, um darüber die
Katakomben, das Labyrinth der Träumenden Bücher, in Begleitung „eines
erfahrenen Librinauten“[48]
zu betreten und ebendort im Dunkeln einer Vorstellung des „Unsichtbaren
Theaters“ beizuwohnen.[49]
Nachdem die Theaterbesucher das Labyrinth betreten haben, wird das Licht der
Lampe gelöscht, was den Beginn der Vorstellung einleiten soll, daraufhin meint
Hildegunst von Mythenmetz den Schattenkönig zu hören und zu spüren. Er verfällt
in einen von ihm als Ormrausch bezeichneten Zustand und muss anschließend
feststellen, nachdem er seine Kerze neuerlich entzündet hat, dass er sich
allein im Labyrinth befindet.[50]
An dieser Stelle endet der Roman mit dem Hinweis des Übersetzers *Walter Moers,
dass die Geschehnisse im nächsten Band fortgesetzt und die offenen Fragen
beantwortet würden.[51]
[1]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher. Ein Roman aus Zamonien von Hildegunst von Mythenmetz. Aus dem Zamonischen übertragen und
illustriert von Walter Moers, S. 13 und S. 17 f.
[2]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 18.
[3]
Ebd.
[4]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 18-24.
[5]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 24.
[6]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 25.
[7]
Ebd.
[8]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 15.
[9]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 26.
[10]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 38.
[11]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 27.
[12]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 27-43.
[13]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 47.
[14]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 44-64.
[15]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 68.
[16]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 65-82.
[17]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 83-131.
[18]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 132-145.
[19]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 162.
[20]
„,Die alten Bücherjäger‘, fuhr er [ein Librinaut] fort, ,wurden nur von zwei
simplen Kräften angetrieben: Von ihrem Egoismus und von ihrer Gier. Viel
komplizierter waren sie nun mal nicht gebaut. Für einen Bücherjäger gab es nur
ihn selbst und die feindliche Welt, die zwischen ihm und seiner Beute stand.
[...]‘ [...] ,[...] Der Librinaut hat einen Gesellschaftsvertrag, ob man es
glaubt oder nicht. Schön, auch wir sind alle Einzelgänger und Eigenbrötler –
das ist eine Berufskrankheit. Aber wir sehen das große Ganze. Die soziale
Gemeinschaft. Wir zahlen Gebühren und Steuern, wir halten uns an die Regeln.
Wir schmuggeln keine kostbaren Bücher heimlich aus den Katakomben, so wie die
alten Jäger es taten. Wir fördern sie zutage, ja. Das ist unser Beruf. Aber wir
tun das im Licht der Öffentlichkeit! [...]‘“ In: Walter Moers: Das Labyrinth
der Träumenden Bücher, S. 344 f.
[21]
Kibitzer äußert sich folgendermaßen: „,Buchlinge schreiben nicht. Das müsstest
du am besten wissen. Sie sind notorische Leser, die ihr Leben der Lektüre
gewidmet haben. Das sind konsequente Konsumenten von Literatur, nicht ihre
Urheber. So eine komplexe Parodie, wie sie dieser Brief darstellt, kann nur
jemand hergestellt haben, der über großes schriftstellerisches Vermögen und
lange Praxis verfügt. Und in dem Zusammenhang fällt einem wieder ein gewisser
Name ein ...‘ ,Homunkoloss?‘, fragte ich [Mythenmetz]. ,Der Schattenkönig?‘ ,Na
ja, er ist der Einzige, der mir einfiele, wenn solche Qualitäten von jemandem
verlangt werden, der tief unten im Labyrinth haust. Und er ist das einzige
Geschöpf der Katakomben, das dich persönlich kennt und auf die Idee kommen
könnte, dir einen Brief zu schreiben [...].‘“ In: Walter Moers: Das Labyrinth
der Träumenden Bücher, S. 172 f.
[22]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 146-183.
[23]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 208.
[24]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 184-287.
[25]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 225-287.
[26]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 288.
[27]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, u.a. S. 296-306.
[28]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, u.a. S. 306-357.
[29]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, u.a. S. 357-371.
[30]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 288-336.
[31]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 296.
[32]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 336.
[33]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 337-357.
[34]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 358-372.
[35]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 388.
[36]
Ebd.
[37]
Vgl. Walter Moers: Die Stadt der Träumenden Bücher. Ein Roman aus Zamonien von Hildegunst von Mythenmetz. Aus dem Zamonischen übertragen und
illustriert von Walter Moers, u.a. S. 443-445, 447-451 und S. 471-473.
[38]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 396 f.
[39]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 384.
[40]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 373-400.
[41]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 402.
[42]
Vgl. Ebd.
[43]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 404.
[44]
Ebd.
[45]
Ebd.
[46]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 405.
[47]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 419. Für „[d]ie
ausgebrannten Erdtrichter, die neue Zugänge zum Labyrinth geschaffen haben“,
in: Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 78, hatte „sich im
Volksmund [...] in kürzester Zeit der Begriff Buchhaimer Rüssel durchgesetzt“. In: Ebd. Nachdem „[d]ie Buchhaimer Rüssel [...] offiziell zu
Verkehrswegen der Stadt ernannt [...] [wurden], was wiederum die Verwaltung vor
die Aufgabe stellte, ihnen Namen zu geben“, in: Walter Moers: Das Labyrinth der
Träumenden Bücher, S. 79, entschied man sich dafür, „ähnlich wie bei vielen
Buchhaimer Straßen, [...] die Namen von bekannten Dichtern“, in: Ebd., zu
verwenden.
[48]
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 417.
[49]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 405-424.
[50]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 422-427.
[51]
Vgl. Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher, S. 429 f.
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