Dienstag, 9. Dezember 2014

Émile Bravos "Pauls fantastische Abenteuer" und die Ebene hinter einem Comic

Nachdem sich Émile Bravo mit seinen Comics auch in Deutschland einen Namen gemacht hat, veröffentlicht Carlsen Comics nun eines seiner frühen Werke „Pauls fantastische Abenteuer“ (Une épatante aventure de Jules).
Zu Comics, die zu Bravos heutiger Bekanntschaft beigetragen haben, zählen vor allem „Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen“ („Ma maman est en Amérique, elle a rencontré Buffalo Bill“, 2007) und sein Beitrag zum „Spirou“-Magazin „Porträt eines Helden als junger Tor“ („Une aventure de Spirou et Fantasio: Le Journal d‘un ingénu“, 2008). 
Für die sechsteilige Comicserie „Pauls fantastische Abenteuer“, die zwischen 1999 und 2011 erschien, wurde Bravo 2002 mit dem René-Goscinny-Preis ausgezeichnet, der den besten Szenarist eines Jahres würdigt und während des Festival International de la Bande Dessinée d‘Angoulême von einer Jury vergeben wird. Bravo, der sich mit seinen Zeichnung gezielt auch an ein jüngeres Publikum wendet, legt mit diesem Comic eine Geschichte vor, in der ganz gewöhnliche Kinder überraschend immer wieder in verblüffende Geschehnisse verwickelt werden. 
© Carlsen Verlag
Die Protagonisten dieses Comics, das Mädchen Janet und der zwölfjährige Junge Paul, reisen innerhalb der ersten drei von Bravo geschaffenen Geschichten zu einem fernen Planeten und durch die Zeit, sie vereiteln mehrfach die Machenschaften eines "verrückten Wissenschaftlers" und werden bei einer Exkursion in einer Höhle verschüttet. 
Émile Bravo, der sich bei dem von ihm erzählten Stoff durchaus freudig an bestehenden Klischees bediente, tut dies auf eine Weise, dass die Klischees zwar weiterhin als solche fortbestehen, doch aus unerwartbaren Gegebenheiten innerhalb des Comics erwachsen. Dieses gezielte Spiel Bravos mit Vorurteilen, altbekannten Handlungsmustern sowie herkömmlichen Erzählstrategien führt bei seinem Werk „Pauls fantastische Abenteuer“ dazu, dass innerhalb der Handlung eine Verhaltens- und Gesellschaftskritik mit verschiedensten Aspekten gegeben ist, die gerade dort äußerst erhellend ist, wo sie die gewohnten Erzählweisen aufzeigt und vorführt. 

Die Kolorierung dieser Comicserie ändert sich von der ersten zur zweiten Ausgabe. Im ersten Band (Walter) sind es bunte und strahlende Farben, die die Panels ausfüllen, die in ihrer Art an Superheldengeschichten denken lassen, während im zweiten Band (Delphine Chedru) mattere und gesetztere Farbtöne vorherrschen, was diese Kolorierung realer wirken lässt. Delphine Chedrus Art der Farbgebung sollte auch im Folgenden in den Werken Émile Bravos Verwendung finden und wie die eher klein gehaltenen Panels zu einem der Markenzeichen von Bravos Comicheften werden. 

Während die Namensangabe des jeweiligen Koloristen zwar nicht auf dem Cover, jedoch auf dem Titelblatt vorhanden ist, wird der jeweilige Übersetzer lediglich im Impressum der Hefte genannt. Hierbei stellt dieser Comic allerdings keine Abweichung von der Norm dar, vielmehr ist dies die gängige Praxis in der Comicbranche. Dies liegt sicherlich an der Stellung, die Übersetzer und Übersetzungen allgemein im Vergleich zum Originalwerk in unserem Kulturraum einnehmen, denn die Übersetzung und somit auch der Übersetzer sollen hinter den ursprünglichen Text und dessen Autor zurücktreten, doch muss bei einem solchen Vorgehen auch immer bedacht werden, dass eine Übersetzung lediglich eine der möglichen Interpretationen der Originialsprache abbilden kann. Ebendieser Sachverhalt tut sich in der Übertragung von einzelnen Spezial- oder eigens vom Autoren geschaffenen Begriffen, aber auch an der im Comic entwickelten Formsprache und Bildsymbolik am besten kund. Dass die Übersetzer nur im Impressum aufgeführt sind, bedingt, dass des Öfteren nicht an sie gedacht wird. Der Einfluss von Übersetzern ist jedoch gerade an Stellen elementar, an denen eine Entscheidung bezüglich einer Anpassung in die zu übersetzende Sprache nötig ist. Durch ihre Wahl können Bedeutungsverengungen oder -erweiterungen herbeigeführt werden. Auch für Émile Bravos „Pauls fantastische Abenteuer“ ist ein Blick auf den Übersetzer zumindest interessant, denn dieser ändert sich ebenfalls mit dem zweiten Band. Im ersten Band stammen die Übersetzungen von Christian Gasser und in den nachfolgenden Bänden von Ulrich Pröfrock. Die Herstellung (Derya Yildirim) und das Lettering (Björn Liebchen) bleiben hingegen unverändert.
© Carlsen Verlag
Zudem verwundert es, dass der Protagonist dieser Comicbände im Deutschen Paul und nicht – wie im Original – Julius (Jules) heißt, da der Name Julius in Deutschland doch nicht ganz unbekannt ist. Solche Namensänderungen, die wohl durchgeführt werden, um dem Absatz des Comics auf dem deutschen Markt zu helfen, sind nicht unüblich, wurden in jüngerer Zeit aber immer seltener. Die prominentesten Umbenennungsfälle wären wohl Tim (Tintin) aus „Tim und Struppi“ („Les aventures de Tintin“), Miraculix (Panoramix) aus Asterix oder JoJo (Gaston Lagaffe), bei dem die Änderung jedoch nur in Rolf Kaukas zweiwöchig erscheinendem Primo-Magazin in den 1980er Jahren stattfand. In letzterem Fall wurde bei neuerlicher Veröffentlichung der Geschichten vom Carlsen Verlag der eigentliche Name des Protagonisten beibehalten. Bei der Änderung von Figurennamen stellt sich zwangsläufig immer auch die Frage der Motivation dieser Veränderung, vor allem da die Vergleichbarkeit mit der ursprünglichen Fassung via Internet so leicht wie niemals zuvor ist. Es soll hier keinesfalls der Eindruck entstehen, dass wechselnde Übersetzer oder Anpassungen an eine andere Sprache schlecht seien, hiervon kann keine Rede sein, allerdings nur dann, wenn Verweise und Wortspiele des eigentlichen Autors oder der übersetzenden Vorgänger mit in die eigene Übertragung fließen, sodass der Leser eine gewisse Kontinuität, wenn sie im Originalwerk vorhanden ist, auch in der Übertragung erkennen kann. Neben den bereits benannten Personen, die für den Produktionsprozess eines Comics erforderlich sind, spielen weitere nicht genannte eine wichtige Rolle. Für den Inhalt mit am ausschlaggebendsten dürfte der Lektor sein und dies schon bei der Entstehung der jeweiligen gezeichneten Geschichte. Die Bedeutung, die dem Lektor zu kommt, ist leicht ersichtlich, wenn man beispielsweise Ute Schneiders 2005 veröffentlichtes Buch "Der unsichtbare Zweite - Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag" als Referenz heranzieht und berücksichtigt, welchen Einfluss Lektoren mitunter auf die von ihnen betreuten Schriftsteller hatten.

Anhand all dieser in die Produktion einbezogenen Personen und unter Berücksichtigung der Verkaufszahlen mancher Werke ist es nicht verwunderlich, dass manche Comicserien nicht im Ganzen übersetzt, sondern während ihrer Publikation abgebrochen werden (müssen). Dass die Leser dieser beendeten Serien mit ihrer Einstellung unzufrieden sind, liegt hierbei auf der Hand. Aus dieser Frustration heraus, so zumindest die eigene Darstellung, entwickelte sich seit 2007 ein Comicverlag für das Wiedererstehen eingestellter Serien, der Verlag Finix Comics. Finix Comics ist ein Verein, der sich mit seinen momentan etwa 160 Mitgliedern um eine Realisierung der nicht übersetzten, noch fehlenden Bände einer abgebrochenen (frankobelgischen) Comicserie bemüht. Im April 2008 begann der Verein über den gegründeten gleichnamigen Verlag in Comicreihen fehlende Bände zu veröffentlichen. Hierdurch und durch den Vertrieb neuer Werke, die bisher nicht in deutscher Übersetzung erschienen waren, es aber laut diesem Verein und seinen Mitgliedern wert seien, versucht Finix Comics vorhandene Lücken des deutschsprachigen Comicmarktes zu schließen. 
Im Namen der Comicleser kann man nur hoffen, dass dies auch weiterhin geschehen kann, und dass mehr Frühwerke oder einzelne kurze Comics in Sammelbänden, die sonst der Leserschaft nicht unbedingt zugänglich wären, herausgebracht werden.



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Die in diesem Beitrag verwendeten Bilder entstammen dem vom Carlsen Verlag der Presse zur Verfügung gestellten Material.

Mittwoch, 12. November 2014

Winsor McCay und sein Comicstrip „Little Nemo in Slumberland“

Zenas Winsor McCay (1871-1934) zählt mit seinen von ihm erdachten und gezeichneten Zeitungskurzgeschichten zu den prägendsten Vertretern der amerikanischen Comicstrips des 20. Jahrhunderts. 
Der erste Comicstrip von „Little Nemo in Slumberland“ (1905)
Für spätere Entwicklungen der modernen Comics war er mindestens so wichtig, wie Richard Felton Outcault (1863-1928) mit seinem in der „New York World“ publizierten Comicstrip „The Yellow Kid“ (1895-1898), welcher als einer der Ursprünge des modernen Comics angesehen wird. 
Die Comicstrips Winsor McCays wurde erstmals am 11. Januar 1903 veröffentlicht, also zu einer Zeit als die Comicstrips in den Zeitungen noch recht neu waren und daher noch mitnichten an all die großen Zeitungszeichner:innen zu denken war. Auch wenn Bud Fisher (1885-1954) mit seinem täglich veröffentlichten und lange Zeit von den Lesern sehr geschätzten Comicstrip „Mutt and Jeff“ (1907-1983) nur ein paar Jahre später begann. „Mutt and Jeff“ gilt als der erste kommerziell erfolgreiche Comicstrip und wurde später von unterschiedlichen Zeichnern fortgeführt, sodass die Serie immerhin nicht weniger als 75 Jahre lang zu lesen war. 
Es sollte allerdings noch Jahrzehnte dauern bis Zeichner:innen und Texter:innen, wie Nell Brinkley (1886-1944) mit den von ihr kreierten The Brinkley Girls“ (1913-1940), E. C. Segar (1894-1938) mit dem von ihm geschaffenen Comicstrip „Popeye the Sailor Man“ (1929-), wie Edwina Dumm (1893-1990) mit ihrer Serie „Cap Stubbs and Tippie“ (1918-1966), wie Will Eisner (1917-2005) mit seiner immer sonntags erscheinenden „The Spirit“ (1940-1952), wie Gladys Parker mit ihrem Comicstrip Mopsy (1937-1965), wie Charles M. Schulz (1922-2000) mit seinen „Peanuts“ (1950-2000) oder wie Bill Watterson (1958-) mit „Calvin und Hobbes“ (1985-1995) in den amerikanischen Tageszeitungen abgedruckt werden würden.

Der zweite und dritte Comicstrip von „Little Nemo in Slumberland“ (1905)
Zu McCays Comicstripklassikern zählt neben „Little Sammy Sneeze“ (1904-1906), einer Geschichte um den niesenden Jungen Sammy, der mit seinen unfreiwilligen Niesanfällen immerzu Unordnung, Verwirrung und Ärger stiftet, vor allem sein heutzutage wohl mit Abstand bekanntestes Werk „Little Nemo in Slumberland“. 
Ähnlich wie bei „Little Sammy Sneeze“ ist die Grundidee von „Little Nemo in Slumberland“ (Der kleine Nemo [Niemand] im Schlummerland) recht einfach, sie erzählt von den Träumen des Protagonisten und endet jeweils mit dem Erwachen oder dem Gewecktwerden Nemos. Dieses simple Gerüst der Comicstrips wird jedoch vielfältig und andauernd variiert, sodass aus der Grundidee beinahe endlose und mitunter äußerst irreale Möglichkeiten erwachsen.
„Little Nemo in Slumberland“ wurde zuerst ab dem 15. Oktober des Jahres 1905 bis ins Jahr 1911 in der „New York Herald“ veröffentlicht. Nachdem McCay die Zeitung wechselte, erschien der Comicstrip unter dem veränderten Titel „In the Land of Wonderful Dreams“ in der Zeitung „New York American“ und zwar im selben Jahr bis ins Jahr 1914 hinein. Hierauf endeten die Zeitungskurzgeschichten um den kleinen Nemo, bis neue Geschichten von ihm im August 1924 bis zum Dezember 1926 abermals in der „New York Herald“ abgedruckt wurden.
Winsor McCay arbeitete nun wiederum für seinen vormaligen Arbeitgeber und dementsprechend wurden die Comicstrips um seinen träumenden Protagonisten wieder unter dem eigentlichen Titel herausgegeben.
Während Veröffentlichung erfuhr das Werk „Little Nemo in Slumberland“ allerdings nicht die Aufmerksamkeit, die es rückblickend innerhalb der Comicgeschichte einnimmt, zum Beispiel waren Comicstrips wie das bereits erwähnte Werk „Mutt and Jeff“ oder die seit 1897 bis heute laufende Serie „The Katzenjammer Kids“, die der deutsche Einwanderer Rudolph Dirks (1877-1968) schuf, bei den Zeitgenossen McCays deutlich erfolgreicher.
Der vierte Comicstrip von „Little Nemo in Slumberland“ (1905)
Darüber hinaus beschäftigte sich Winsor McCay mit animierten Filmen und deren Technik, für die er zuerst alleine und später auch mit Hilfe von Mitarbeitern Bilder zeichnete und sich solcherart mit dem Medium Zeichentrickfilm versuchen konnte. Zwei seiner heute angesehenen Animationsfilme sind How a Mosquito Operates (1912) und Gertie the Dinosaur (1914).

McCays Gertie the Dinosaur aus dem Jahre 1914.



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Die in diesem Beitrag verwendeten Zeichnungen sind gemeinfrei und können über Seiten wie http://digitalcomicmuseum.com/ eingesehen werden.

Dienstag, 4. November 2014

Verschiedenartige gemeinfreie japanische Zeichnungen und der Manga "Give My Regards to Black Jack" von Satō Shūhō

Über japanische Holzschnitte, Pinselzeichnungen und was der moderne Manga und Satō Shūhō mit ihnen gemein haben. 
Die Geschichte der japanischen Holzschnitte und die damit verbundenen Techniken des Handwerks der Holzschneider gehen zurück bis ins 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Zuerst beschränkten sich die Sujets des Holzschnitts auf religiöse Darstellungen, lösten sich aber ab dem 17. Jahrhundert und mit einer durch den Vertrieb erster nicht religiöser Texte einhergehenden Kommerzialisierung von den religiösen Motiven. Diese weltlichen, gleichfalls auf Unterhaltung ausgelegten Texte waren mit zahlreichen Holzschnitten bebildert und in Kyōto, Ōsaka und Tokyo gedruckt worden. Nach und nach wurden die Drucktechniken besser, sodass neben den anfänglichen Schwarzweißabbildungen über annähernd einhundert Jahre und einige Entwicklungsstufen nun ebenfalls, ab dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts, komplexere Farbabbildungen vervielfältigbar waren. 
Holzschnitt von Katsushika Hokusai (Um 1814-1815)
Die ukiyo-e Gemälde und Holzschnitte, die größtenteils aus Edo stammten, welches im Gebiet des heutigen Tokyos lag, waren es, die die vergängliche irdische Welt thematisierten und das damalige Lebensgefühl der in der Stadt lebenden Menschen und des gerade im Entstehen begriffenen Bürgertums der Edo-Zeit (1603-1868) einfingen.

Ukiyo-e-Holzschnitt von Kawanabe Kyôsai (1872)
Die Geschichte der japanischen Pinselzeichnungen reicht mindestens so weit zurück, wie die der Holzschnitte, wahrscheinlich sogar noch weiter. Die mit Tusche, Farbe oder Tinte gezeichneten Bildnisse sind zwar ihrer Art nach dem Holzschnitt ähnlicher als einem mit Pinseln gemalten Bild, jedoch mitnichten derart leicht zu reproduzieren, wie es die Arbeiten eines Holzschneiders waren. Ebendies beförderte eine geringere Verbreitung der Pinselzeichnungen als die der Holzschnitte, sorgte aber gerade aufgrund der eingeschränkteren Verfügbarkeit für eine Exklusivität der Zeichnungen, die der von Gemälden nahekam.
Pinselzeichnungen von Utagawa Kuniyoshi (Etwa 1850) 
Tusche und Wasserfarben auf Seide von Utagawa Toyokuni (1789-1801)
Alte japanische Zeichnungen, wie diese, sind in unterschiedlichen Museen auf der ganzen Welt zu betrachten und sind dort durchaus kein ungewöhnliches Ausstellungsstück mehr. Aufgrund ihres Alters sind diese Zeichnungen mittlerweile längst gemeinfrei, doch bei ihren mehr oder minder indirekten Nachfolgern den japanischen Comics ist dies keineswegs solcherart. Auch, da die meisten Mangas, die gegenwärtig besondere Aufmerksamkeit erfahren, jüngeren Datums sind und demnach für sie weiterhin das Urheberrecht des jeweiligen Landes gilt. Dabei ist die Bezeichnung "Manga" keinesfalls neu.
Illustrationen von Katsushika Hokusai
Im Badehaus von Katsushika Hokusai
Der in Edo geborene Maler und Holzschneider Katsushika Hokusai (1760-1849) prägte die Bezeichnung "Manga" und machte sie über seine Skizzen, welche er so betitelte, bekannt; auch wenn die Bezeichnung nicht von ihm selbst stammt. Bei diesen Mangas handelt es sich um Skizzen, die unter anderem Situationen des Alltags oder einfach nur Gegenstände abbilden und mitnichten Geschichten erzählen oder Zusammenhänge zu schaffen versuchen. Sie erschienen gesammelt in fünfzehn Bänden, die in den Jahren 1814 und 1815 publiziert wurden. Katsushika Hokusais Zeichnungen und Skizzen sind zwar bereits gemeinfrei, aber schon bei den Arbeiten Kitazawa Rakutens (1876-1955), der als einer der Begründer des modernen Mangas gilt, ist dies nicht mehr der Fall.

Der japanische Mangaka 佐藤 秀峰 (Satō Shūhō oder auch Sato Syuho, 1973-) dessen Werke unter anderem ins Englische, Französische, Spanische und Italienische - aber nicht ins  Deutsche - übersetzt wurden und der über zehn Millionen Exemplare seines Mangas "Say Hello to Black Jack" (ブラックジャックによろしく - Black  Jack ni Yoroshiku) verkaufte, wählte am 15. September 2012 einen äußerst ungewöhnlichen Schritt. Denn ab dem 15. September 2012 stellte er alle dreizehn Bände ebendieses Mangas in Japanisch und Englisch nicht nur kostenlos und für alle zugänglich ins Internet (漫画onWeb), sondern erlaubte auch allen unter einigen Auflagen mit seinem Werk zu tun, was sie wollen.  
Mit "Say Hello to Black Jack", das auch als "Give My Regards to Black Jack" übersetzt wurde, gewann Satō Shūhō 2006 einen von vier vergebenen Exzellenzpreisen des "Japan Media Arts Festivals". 
Satōs "Give My Regards to Black Jack" erzählt die Geschichte des Medizinstudenten Eijiro Saito, der sich als Assistenzarzt im Universitätskrankenhaus und dessen Alltag behaupten muss. Denn als einer von etwa 8000 Studenten, die jährlich in Japan ihr sechs Jahre dauerndes Medizinstudium erfolgreich absolviert haben, beginnt für Saito nun bei sechzehnstündigen Arbeitstagen und einer monatlichen Vergütung von knapp 500 Dollar der Praxisbestandteil seiner Ausbildung zum Arzt, der circa zwei Jahre dauern soll. 
Die Handlung von "Give My Regards to Black Jack" setzt drei Monate nach Saitos Beginn seiner Assistenzarzttätigkeit ein und kurz bevor er halbtags im "Seido Krankenhaus" in der Nachtschicht zu arbeiten anfängt, um sich dort seinen Unterhalt zu verdienen.  
Satō Shūhō erzählt in seinem Manga von der physischen und der psychischen Belastung und dem ständigen Leistungsdruck unter dem Mediziner - nicht nur während ihrer Arbeit - stehen, aber ebenfalls von den ethischen Konflikten, die diese immer wieder mit sich selbst und mit anderen verhandeln müssen. Allerdings bleibt die Geschichte von "Give My Regards to Black Jack" nicht auf die medizinischen Aspekte beschränkt, sondern sie schildert das gesamte Leben ihres Protagonisten und mit ihm hat die Leserschaft über 127 Kapitel hinweg die Möglichkeit die Zustände und die Mängel im Gesundheitswesen sowie die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Saitos Privatleben bestimmen, zu ergründen. 
Seite 1 des Kapitels "Climbing the Hill"



Seite 2 des Kapitels "Climbing the Hill
Satō Shūhō, der zuvor als Assistent zweier Mangaka gearbeitete hatte, debütierte im Jahre 1998 im "Weekly Young Sunday" mit seinem Manga "おめでとォ!" (Omedetoo!), was in regulärer Schreibweise "おめでとう" (Omedetō) eine Glückwunschsfloskel ist und an der Stelle der Katakanasilbe ォ (o) eine Hiraganasilbe う (u) aufweist. Neben Satōs Manga "Give My Regards to Black Jack" erfuhr auch sein Werk 海猿  (Umizaru), das zwischen 1999 und 2001 veröffentlicht wurde, mehrere filmische Umsetzungen.
Nachdem der Vertrag mit dem eigentlichen Herausgeber seines Mangas "Say Hello to Black Jack" durch Satō 2010 beendet wurde, machte er sich an die online Veröffentlichung dieses Werkes. Auf seiner Hompage 漫画onWeb sind allerdings nicht nur die 127 Kapitel der dreizehn Bände von "Give My Regards to Black Jack" einzusehen, sondern noch weitere Mangas, diese jedoch lediglich in Japanisch. Dass sich für Satō dieser Schritt der quasi Gemeinfreimachung seines Werkes gelohnt hat, zumindest als ein für ihn und sein Schaffen gutes Marketing, belegen nicht zuletzt weit mehr als eine Millionen als App heruntergeladene Versionen von "Give My Regards to Black Jack".  
 
"Give My Regards to Black Jack", der sich eher an eine erwachsene Leserschaft richtet, wie auch die Werke von Utagawa Kuniyoshi, die Werke von Kawanabe Kyôsai und vor allem die Werke von Katsushika Hokusai - von denen doch zumindest der Farbholzschnitt "Die große Welle vor Kanagawa" einem überaus breiten Publikum bekannt sein dürfte - sind vielseitig und es wert, dass man sich mit ihnen erstmals oder erneut beschäftigt. 
"Die große Welle vor Kanagawa" aus Katsushika Hokusais Bilderzyklus "36 Ansichten des Berges Fuji"

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Die in diesem Beitrag verwendeten Zeichnungen sind entweder gemeinfrei (http://www.zeno.org - Contumax GmbH & Co. KG) oder sie entstammen dem Manga "Give My Regards to Black Jack" (ブラックジャックによろしく) von Satō Shūhō (佐藤 秀) und können über dessen Website Manga on Web (漫画onWeb) http://mangaonweb.com/ eingesehen werden, wie in diesem Blogbeitrag zu lesen gewesen ist. 

Dienstag, 28. Oktober 2014

Zum 75jährigen Jubiläum gibt es eine neue Geschichte aus der Vergangenheit Spirous

Szenarist Yann (Leppennetier), Zeichner Olivier Schwartz und Laurence Croix – für die Colourisierung zuständig – legen mit ihrem Band „Die Leopardenfrau“ die Fortsetzung ihres aus dem Jahre 2009 stammenden Spirou“-Abenteuers „Le Groom vert-de-gris“ vor. 
© Carlsen Verlag
Am 21. April 1938 erschien erstmals das „Spirou“-Magazin („Le Journal de Spirou“) mit der von Rob-Vel (Robert Velter) gezeichneten titelgebenden Serie Spirou auf dem Deckblatt. Das Comicmagazin, das für eine junge franko-belgische Leserschaft konzipiert wurde, war vom Verleger Jean Dupuis als Gegenpol zu den amerikanischen Comicserien erdacht, die in „Le Journal de Mickey“ seit 1934 abgedruckt wurden. Die Geschichten rund um Spirou – einem kleinen Hotelpagen in roter Livree –, der heutzutage zu den bekanntesten europäischen Comicfiguren gehört, entwickelten sich schnell weiter, und lösten den kleinen Jungen von seiner Pagentätigkeit und sandten ihn um die Welt. 
© Carlsen Verlag
Wirkliche Bekanntheit erlangte die „Spirou“-Serie allerdings erst unter André Franquin, dem dritten Zeichner der Serie, welcher in den 1950er Jahren wesentliche Neuerungen in den Comic einführte, beispielsweise war die Titelfigur inzwischen erwachsen geworden, hatte Freundschaften geschlossen und die üblen Vorhaben einiger schurkischer Gegenspieler vereitelt.
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Zu ebendieser Zeit wetteiferten die beiden belgischen Comicmagazine mit ihren vorzeige Zeichnern um die Gunst der Leser; Franquin mit dem „Spirou“-Magazin gegen Hergé (Georges Prosper Remi) mit dem „Tintin“-Magazin. Das „Tintin“-Magazin erschien erst im Jahre 1946, nachdem „Tim und Struppi“(„Les aventures de Tintin“) zuvor ab 1929 in „Le Petit Vingtième“, der Jugendbeilage einer katholischen Tageszeitung, veröffentlicht worden war. Diese Tageszeitung wurde nach der Besatzung Belgiens durch Deutschland im Jahre 1940 eingestellt, worauf die Geschichten von „Tim und Struppi“ als ein täglicher Comicstrip in der Zeitung „Le Soir“ zu lesen waren. Dass das „Tintin“-Magazin jedoch ab 1993 eingestellt werden musste, hat nichts mit dem Wettstreit der beiden Magazine zu tun, sondern begründet sich allein darin, dass Hergé zehn Jahre zuvor gestorben war und „Tim und Struppi“, die namengebende Serie des Magazins, seitdem nicht mehr fortgesetzt wurde, was das Magazin sein Aushängeschild und hierdurch Teile seiner Leserschaft kostete. Anders verhielt es sich mit dem „Spirou“-Magazin und deren Titelserie, deren Autoren und Zeichner über die Jahre hinweg wechselten. 
© Carlsen Verlag
Bis zum heutigen Tag haben an der regulären „Spirou“-Serie zwölf Zeichner und Autoren gearbeitet, hinzukommen noch seit 2006 Sonderbände in denen Autoren und Zeichner abgekoppelt von der laufenden Serie und deren Ereignissen die Figuren meist in einem in sich geschlossenen Band auf ihre Weise interpretieren durften. Diese Sonderbände boten auch Yoann Chivard und Fabien Vehlmann mit „Die steinernen Riesen“ 2006 die Möglichkeit sich mit der „Spirou“-Serie zu beschäftigen, ehe sie die laufende Serie im Jahr 2010 übernahmen, aber auch Zeichner wie Emile Bravo - mit seinem „Porträt eines Helden als junger Tor“ 2008 - nahmen diese Gelegenheit wahr und versuchten ihre eigenen Interpretationen der von Rob-Vel geschaffenen Figur. 
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Beim neusten „Spirou und Fantasio Spezial“-Band handelt es sich um einen solchen Sonderband und die Fortsetzung des von Yann (Leppennetier), Olivier Schwartz und Laurence Croix geschaffenen Spirouabenteuers „Le Groom vert-de-gris“ aus dem Jahre 2009 („OperationFledermaus“ 2010 bei Carlsen).
Yann und Schwartz schildern in ihrer erste „Spirou“-Geschichte „Operation Fledermaus“ die Lebenssituation im von der Deutschen Wehrmacht besetzten Brüssel des Jahres 1942 und wie die beiden Freunde Spirou, Page im von der Gestapo als Einsatzzentralle umfunktionierten Hotel Moustic, und Fantasio, der für die unter deutscher Kontrolle stehende Tageszeitung „Le Soir“ als Journalist arbeitet, im Rahmen ihrer Möglichkeit Widerstand gegen die Besatzer leisten. 
© Carlsen Verlag
„Operation Fledermaus“ endet mit dem Einzug alliierter Streitkräfte in Belgien im Jahre 1944 und der Befreiung Brüssels. Der daran anschließende Band, dessen etappenweise Veröffentlichung im „Spirou“-Magazin noch unter der Bezeichnung „Spirou et le fétiche des Marolles“ („Spirou und der Fetisch der Marollen“) vonstattenging, bekam erst als Sammelband den Namen „Die Leopardenfrau“ („La Femme Léopard“ 2014). 
Die Geschichte von „Die Leopardenfrau“ setzt mit den Worten „1946, der Nazi-Schraubstock ist nur noch eine ferne Erinnerung … Es ist der bleierne Mantel einer erbarmungslosen Gluthitze, der Brüssel gegenwärtig erdrückt…“ ein. Dieser Spirou-Band versucht eine Geschichte – die mit den fantastischen und abenteuerlichen Elementen eines André Franquins versehen ist – zu erzählen, in der die Traumatisierung der Brüsseler Bewohner:innen durch die Besatzungszeit und gleichzeitig der damals vorherrschende Kolonialdiskurs verhandelt werden. Schauplatz hierfür ist das wieder im erstehenden und nun auch von amerikanischen Soldaten und Geschäftsleuten bevölkerte Brüssel. Bereits in „Operation Fledermaus“ verschoben Yann und Schwartz die bisherige (Bild-)Sprache der „Spirou“-Comicserie und brachten viel expliziter als zuvor Liebe und Sexualität, aber auch menschliche Grausamkeit und den Tod in ihrer Geschichte unter. Diese Ausrichtung auf das Reale und die damit verbundene Ernsthaftigkeit findet sich gleichfalls in „Die Leopardenfrau“ wieder, unter anderem in einem Gespräch zwischen dem Chefportier Entresol und dem Pagen Spirou im Hotel Moustic (Entresol: „Darf ich dich daran erinnern, dass der Page Spirou letztes Jahr voller Stolz gekündigt hat… und dann jämmerlich zurückgekommen ist, um um Wiedereinstellung zu bitten.“  Spirou: „Niemand will einen alten Hotelpagen, der die Kommandantur beherbergt hat… und wie es scheint bin ich zu jung, um einen Erwachsenenberuf auszuüben…“) und der Aussage Fantasios über seinen Freund (Fantasio: „Leer…? Und die da auch…?! Echt übel! Dieser Schluckspecht von Page hat mir nicht einen Tropfen gelassen! Seufz! Der arme Spirou hat sich nie von dem Verschwinden der jungen Audrey in den finsteren Todeslagern der Nazis erholt!“). 
Auch in der Figur des Colonel Van Praag, der seiner eignen Aussage nach „die Nazis an der Spitze [s]einer tapferen Soldaten mitten im kongolesischen Dschungel bekämpft“ hat und während seines Aufenthalts im Brüssel des Jahres 1946 auf die Katzen auf den Hausdächern der Stadt schießt, ist diese Ernsthaftigkeit, aber vor allem jedoch das Spannungsgefüge dieses Szenarios inhärent. 
In seinen Wesenszügen ähnelt Colonel Van Praag sehr dem von Yves Chaland und Yann im „Spirou“-Ableger „Stählerne Herzen“ (1990 bei XfürU) geschaffenen Georg Leopold und somit einem rückwärtsgewandten Geist, der sich zurück in alte Zeiten wünscht, in denen die Kolonialisten noch als Helden gesehen wurden. 
Darüber hinaus gibt es beispielsweise was die „Gorillaroboter“ betrifft, die auf dem Deckblatt dieses „Spirou“-Bandes zu sehen sind, ebenfalls Parallelen zum Werk  „Stählerne Herzen“ wie im Anhang von „Die Leopardenfrau“ nachzulesen ist. Die titelgebende Leopardenfrau soll, so heißt es ebenda, über eine ähnliche Figurenkonzeption Yanns in „Stählerne Herzen“ im Ursprung auf Hergés „Tim im Kongo“ („Tintin au Congo“ 1930 eine schwarzweiß Fassung und 1946 eine teilweise zensierte, farbige Neufassung) zurückgehen. Allerdings ist es wohl nicht besonders geschickt, geschweige denn ratsam, in einem Comic, der die Kolonialgeschichte behandeln will, Elemente aus Hergés „Tim im Kongo“ zu übernehmen, schließlich wurde dieser nicht zu Unrecht und gerade unter den Vorzeichen eines sich inzwischen glücklicherweise gewandelten Diskurses des Öfteren für seine rassistischen Darstellungen gerügt. Das Titelbild, welches die Leopardenfrau als Jungfrau in Nöten (demoiselle en détresse, damsel in distress) und Spirou als den wackeren Retter zeigt, verkennt den Inhalt des von Yann, Schwartz und Croix geschaffenen „Spirou“-Band doch durchaus und ist vermutlich einer imaginierten Verkaufsförderung durch eine derart drastische Aufmachung geschuldet; allerdings ist dies bereits bei der französischen Vorlage der Fall.  
© Carlsen Verlag
Am Ende dieser in sich geschlossenen Geschichte und der dort zu lesenden Texteile: „Lest die Fortsetzung dieses spannenden Abenteuers in ,Der Meister der schwarzen Hostien‘.“ hat man jedoch das Gefühl, dass die eigentliche Erzählung erst jetzt beginnt. Was also schlussendlich bleibt ist eine auf mehreren Ebenen vielfältige Geschichte und das Ausharren auf die nachfolgende Publikation.  


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Vgl. „La Femme Léopard“: http://www.spirou.com/album/le-spirou-de-07.php, „Le Journal de Spirou“: http://www.spirou.com/journal/index.php, allgemeine Informationen zum Brüsseler Marollen-Viertel, einem der älteren Stadtviertel: http://www.brussels.be/artdet.cfm/5629, Pressestimmen zu „Tim im Kongo“ und den rassistischen Darstellungen: ,http://www.nytimes.com/1999/01/08/world/kinshasa-journal-tintin-at-70-colonialism-s-comic-book-puppet.html?scp=1&sq=rhinoceros%20belgium%20war%20tintin&st=cse&pagewanted=printhttp://www.neues-deutschland.de/artikel/811712.die-kritik-setzt-sich-nicht-durch.htmlhttp://www.neues-deutschland.de/artikel/811732.laenderuebergreifender-rassismusstreit-um-tim-und-struppi.html und https://www.deutschlandfunkkultur.de/umstrittene-neuauflage-von-tim-im-kongo-tim-struppi-und-der.2156.de.html?dram:article_id=440726


Rassistische Darstellungen in Comics unter anderem bei Hergé hat der südafrikanische Texter und Zeichner Anton Kannemeyer aufgegriffen und sie in seinen Zeichnungen solcherart überzeichnet, dass die impliziten Aussagen der Bilder entlarvt wurden. Seit September dieses Jahres ist nun auch erstmals ein ins Deutsche übersetzter Comic Kannemeyers unter dem Titel „Papa in Afrika“ erhältlich. Einen genaueren Eindruck gewährt die dreizehnseitige Leseprobe des avant-verlages. Link: http://issuu.com/avant-verlag/docs/papa_in_afrika_leseprobe/1?e=5259815/8928363.

Die in diesem Beitrag verwendeten Bilder entstammen dem vom Carlsen Verlag der Presse zur Verfügung gestellten Material.