Dienstag, 1. November 2022

Die Bildsprache der Vögel im „Garten der Lüste“

Ob als zentrales Motiv oder als vage Andeutung im Hintergrund, Vögel sind in einer Vielzahl von Gemälden und Bildnissen, gleich aus welcher Zeit diese stammen, zu finden. Im jeweiligen Bild können sie eine einfache Staffage oder aber ein komplexes mythologisches beziehungsweise religiöses Symbol sein. Um diese Vielschichtigkeit ihrer Bildsprache exemplarisch für zumindest einige Vogelarten zu erläutern, werden dieser und zwei weitere Gastbeiträge insgesamt neun Vögeln etwas genauer auf ihr Gefieder schauen.  - picti mundi -  

 

Die Bildsprache der Vögel im Garten der Lüste  

Hieronymus Boschs „Der Garten der Lüstelässt sich typologisch in die Kategorie der Altartryptichen verorten. Auf dem linken der drei Altarflügel ist der Garten Eden dargestellt mit Gott, Eva und Adam, der mittlere thematisiert das Paradies und der rechte die Hölle.1 Die Interpretation des Werkes ist bis heute umstritten und eine einheitliche Meinung hat sich bisher nicht durchgesetzt. Gemeinhin ist man sich jedoch einig, dass es sich bei dem Werk um eine phantasievolle Szenerie handelt und keine reale Welt, wie der Bezug zum Paradies ja auch schon verrät. Es scheint eine Welt der freudenhaften Ausschweifungen des Lebens zu sein, die sich in der Unbekümmertheit und Lasterhaftigkeit der Protagonisten zu äußern scheint.2 Durch die Beziehung der dargestellten Menschen und der Tiere scheint eine gewisse Symbiose generiert zu werden, wie die Vögel, die verschiedene Menschen füttern, Fische, die fliegen oder sich von Menschen tragen lassen, Menschen, die sich in Muscheln verkriechen und zwischen die Beine eines Vogels drängen.3 Der Punkt, den Hieronymus möglicherweise in den Vordergrund rücken wollte, ist die Beziehung des Menschen zu sich selbst und der Natur. Ebendiese Betrachtung gilt auch für die Vögel, deren Mensch-Tier-Beziehung und ihre Symbolik in der Bildenden Kunst im Folgenden genauer erfasst werden soll. Hierbei werden die Symbole der abgebildeten Vogelarten Rotkehlchen, Grünspecht, Wiedehopf, Ente und Eisvogel im Vordergrund stehen und deren literarische Herkunft und Entwicklungen. Die Vögel, die hier genauer betrachtet werden sollen, sind alle im mittleren Altarflügel, dem so genannten „imaginären Paradies4 zu finden, wenngleich Vögel im gesamten Triptychon abgebildet werden.

Die Darstellung des Distelfinken im christlichen Zusammengang ist bereits ausführlich erläutert worden und wird an dieser Stelle nicht mehr aufgegriffen. Seine Bedeutung als Heiligenattribut Marias und Christus und vor allem im Zusammenhang mit seiner Tugendhaftigkeit und der Verbindung zum Wasser des Lebens scheinen hier aufgegriffen worden, da er die hungrig erscheinenden Menschen mit Nahrung versorgt. Die gräuliche Färbung der Personen steht möglicherweise für ihre Sünden und die Brombeeren für die süße Gnade Gottes. So könnte man sich sicherlich das Vorkommen des Distelfinken in diesem Werk erklären. Es sein angemerkt, dass dies nur eine mögliche Interpretation von vielen ist.  

Das Rotkehlchen 

In der Bibel wird das Rotkehlchen nicht erwähnt, jedoch lässt es sich durch eine alte wallonische Sage durchaus mit einer christlichen Ikonographie verbinden. Denn laut dieser Sage versuchten Rotkehlchen den Blutfluss des am Kreuz hängenden Jesus zu stillen, was ihnen jedoch nicht gelang. Das Blut blieb aber an ihnen haften und aus diesem Grund ist das Gefieder des Rotkehlchens an seiner Kehle rot.5 Auch in einer niederländischen Legende findet sich eine ähnliche Geschichte. Hier wird ebenfalls vom am Kreuz genagelten Jesus berichtet, der durch das Tragen der Dornenkrone Schmerzen erleiden muss. Das Rotkehlen bemerkt dies und zieht ihm mit dem Schabel einen Dorn aus der Haut, woraufhin ein Bluttropfen auf das Gefieder des Vogels gelangt. Jesus spricht daraufhin: „Zum ewigen Gedächtnis, liebes Vögelein, sollst du und deine Nachkommen das rote Flecklein auf der Brust behalten, und die Menschen sollen euch Rotkehlchen nennen.“6 Da es sich bei diesen Sagen um den wallonischen und niederländischen Kulturraum handelt, ist es sicherlich möglich, dass Bosch, der selbst aus den Niederlanden stammte, diese Legenden bekannt waren oder zumindest in ähnlicher Weise. Dies würde sein Vorkommen als Motiv erklären. Ebenso könnte der ihm zugeneigte, nachdenklich wirkende Mensch der auf dem Distelfinken sitzt, das erwähnte „Gedächtnis“ symbolisieren und die Erinnerung an seine gutmütige Tat.  

Der Grünspecht 

Der Grünspecht ist ein Vogel, der in der Bibel nicht erwähnt wird. In der Concordantiae Caritatis hingegen gibt eine ausführliche Beschreibung zu ihm. Dort heißt es:  

Aristoteles sagt: Wenn in den Baum, in dem ein Specht nistet, ein eiserner Nagel eingeschlagen worden ist, dann springt er von selbst wieder heraus und fällt zur Erde. Als diesen Specht erkenne den Heiligen Geist: Wenn er in einem Baum, das heißt im Herzen eines lebenden Menschen, sein Nest gebaut hat, das heißt wenn er in ihm seine Gnade und sein göttliches Handeln zur Erzeugung einer Handlung in geistlicher Weise hat wohnen lassen wollen und seine Wohnstatt errichtet hat, dann wird der eiserne Nagel, d.h. das gewohnte Werk der Bosheit und Sünden, sofern er durch Verhärtung und Bosheit in dieses Menschen Herz eingehämmert gewesen ist, sogleich, d.h. ohne Aufschub, wieder herausspringen, d.h. wegen der Anwesenheit des Heiligen Geistes, die das Gewissen erleuchtet, vollständig fliehen und verschwinden. Laßt uns darum beten, daß sich dieser Vogel in uns niederlasse und die Gicht der Sünden von uns weit wegtreibe.7 

Hier wird der Vogel mit dem Heiligen Geist verglichen und metaphorisch betrachtet, im Herzen der Menschen zum Werkzeug gegen die Sünden. Volksmedizinische Erwähnungen über den Grünspecht bescheinigen ihm eine heilende Wirkung bei unterschiedlichen Beschwerden. So sagt eine alte deutsche Volksweisheit, man solle sich das Nest eines Grünspechtes um den Kopf binden wodurch die Kopfschmerzen für immer verschwinden sollen. In Tirol wurde das gutschmeckende Fleisch des Vogels zur Bekämpfung der Fallsucht angewandt und der Verzehr der Federn, sollte in Frankreich vor Bezauberung schützen.8  

Betrachtet man sich den Grünspecht im „Garten der Lüste“, bemerkt man die menschliche Figur, die auf seinem Körper sitzt und eine Art Glaskuppel auf dem Kopf trägt. Tatsächlich könnte an dieser Stelle die heilende Kraft bei Kopfscherzen thematisiert werden, jedoch ist dies nur eine mögliche These. Der christliche Zusammenhang in Bezug auf die Erwähnung in der Concordantiae Caritatis hingegen lassen sich schwieriger in die Bedeutung der Bildsprache integrieren. 

Der Wiedehopf 

Für den Wiedehopf findet sich lediglich im 3. Buch Mose (Lev 11, 13-19) der kurze Hinweis:  

Und diese sollt ihr verabscheuen unter den Vögeln, dass ihr sie nicht esst, denn ein Gräuel sind sie: den Adler, den Habicht, den Fischaar, den Geier, die Weihe mit ihrer Art und alle Raben mit ihrer Art, den Strauß, die Nachteule, den Kuckuck, den Sperber mit seiner Art, das Käuzchen, den Schwan, den Uhu, die Fledermaus, die Rohrdommel, den Storch, den Reiher, den Häher mit seiner Art, den Wiedehopf und die Schwalbe. 

Dieses, bereits weiter oben verwendetes Zitat verortet den Vogel in eine Kategorie der negativ behafteten Vogelarten und ist gleichzeitig die einzige Erwähnung in der Bibel. Im Phsyiologus hingegen heißt es über den Wiedehopf:  

Es gibt einen Vogel, der heißt Wiedehopf. Und seine Kinder, wenn sie sehen, daß die Eltern alt sind, reißen sie ihnen die alten Federn aus und lecken ihre trüben Augen und wärmen ihre Eltern unter ihren Flügeln und behandeln sie wie Junge, und so werden sie wieder jung. Sie sagen nun zu ihren Eltern: Wie ihr uns als Junge aufgezogen habt und euch bis zur Erschöpfung gemüht und uns gefüttert, so tun wir euch dasselbe. Und wie können Menschen so unverständig sein, daß sie nicht ihre eigenen Eltern lieben, die sie versorgen und in der Erkenntnis des Herren erziehen?9 

Diese Beschreibung seines Wesens entkräftet das negative Bild in der Bibel nicht nur, sondern versieht den Wiedehopf als ein Vogel mit Attributen besonders großer Güte und Hilfsbereitschaft. In diesem Zusammenhang ist auch möglicherweise der Wiedehopf in Boschs Werk zu betrachten, der hier in seinem Gefieder, schützend einen Menschen beherbergt, wie die Eltern ihr umsorgtes Kind. 

Die Ente 

Auch die Ente wird in der Bibel nicht erwähnt. In der mittelalterlichen Literatur hingegen taucht sie auf, jedoch als Tier mit negativ konnotierten Eigenschaften. So heißt es beispielsweise, dass man mit einer zahmen Lockente Enten fängt, was als Bild eine Anspielung auf den Teufel und die Personen sein soll, die dieser erst durch ihre Sünden fängt. Zudem wird die Ente als Tier beschrieben, dass sich im Kot ernährt, was so viel bedeuten soll, dass der Gottlose nur zeitliches Gut begehrt. An anderer Stelle ist von Enten und Gänsen die Rede, die auf den Grund von Gewässern tauchen, das Wasser abschütteln und mitunter Unrat im Schnabel haben. Im übertragenen Sinne soll dies für Menschen stehen, bei denen nichts vom Inhalt einer Predigt haften bleibt.10 Hier entsteht das Bild der Ente als „niederes“ Tier, was räumlich betrachtet im Gemälde visuell reproduziert wird. Möglicherweise ist auch die Sündhaftigkeit in ihr symbolisiert, in diesem Fall durch das küssende Paar auf dem Rücken des Tiers 

Der Eisvogel 

In der Bibel wird der Eisvogel nicht direkt erwähnt, findet sich aber in anderen christlichen Schriften des Mittelalters, wie in der Concordantiae Caritatis. Dort beschreibt man den Eisvogel mit den folgenden Worten: „Dieser wunderschöne Eisvogel ist Christus in seiner größten Vollkommenheit jeglicher Tugend und Gnade; die Federn seines Federkleides sind alle jene, die sich in Frömmigkeit auch mit dem überaus kostbaren Blut seines Leidens und Sterbens bewahren.11 Nach einem alten heidnischen Volksglauben nistet der Eisvogel auf dem Meer und sobald er dies getan hat verschwinden alle Stürme. Hieran schließt sich im Mittelalter die Vorstellung der „meerstillen Nester des Eisvogels als Sinnbild der Muttergottes.“12 Nach einer mittelalterlichen Sage, die sich an die biblische Erzählung zu Noah und die Taube anlehnt, wurde der dort genannte Wasserspecht vor der Taube entstand um das Land zu entdecken. Er flog jedoch so hoch, dass er in das Blau des Himmels eintauchte und so sein blaues Gefieder erhielt. Jedoch war er geneigt sich aus Neugierde so nah wie möglich der Sonne zu nähern, was ihm zum Verhängnis wurde da ein Teil seines Gefieders verbrannte und er sodann zur Erde hinabstürzte, um sich in den Fluten des Meeres zu kühlen. Aus diesem Grund besitzt er die roten Federn. Seinen Auftrag erfüllte er aber nicht, sondern die Taube, die Noah anschließend entsandte als der Wasserspecht nicht zurückkehrte.13 

In diesem Zusammenhang könnte der Eisvogel bei Hieronymus Bosch sowohl eine positive Bedeutung haben, wie der Vergleich zur Frömmigkeit Jesus oder als Sinnbild der Gottesmutter, aber auch eine negative Symbolik, als übermütiger Vogel, der seine Anweisungen nicht befolgt und sich dadurch selbst schadet. Leider gibt es auf dem Altar keinen zwingenden Hinweis auf die Deutung einer solchen Ikonographie an dieser Stelle, die einen eindeutigen Aufschluss geben könnte.  

Abschließende Bemerkungen  

Die hier und in den letzten beiden Blogeinträgen angeführten Beispiele der unterschiedlichen Vogelsymbole in der Bildenden Kunst und ihre dortige Manifestation skizzieren eine Bildsprache, die seit Jahrstausenden tradiert wird und sowohl bereits vorhandene Inhalte überträgt, als auch neue generiert und so das Bedeutungsspektrum erweitert. Der Weg in das kulturelle Gedächtnis der unterschiedlichen Kulturen, wie zum Beispiel die mythologischen Erzählungen und biblischen Schriften, fand hierbei nicht nur durch Sprache und Verschriftlichung statt, sondern ebenso über die visuelle Übertragung, die sich in Form verschiedener Kunstgattungen und den mannigfaltigen Vogelrepräsentationen dort äußerst.  

Selbstverständlich muss der Blick aufs Gefieder der in diesen Beiträgen benannten Gemäldevögeln ein flüchtiger sein, hoffentlich war er jedoch zugleich auch eine erste Annäherung daran, wie Kunstwerke mit ein- und verschiedenfarbigen Vogelfedern seit der Antike geschmückt und damit mit Bedeutung versehen wurden.  

 

Dieser Blogeintrag wurde verfasst von Philippe H. 


1 Belting, Hans: Hieronymus Bosch. Der Garten der Lüste. New York 2002, S. 21.

2 Belting (2002), S. 47.

3 Vgl. Gattiker, Ernst/Gattiker, Luise (1989), S. 54.

4 Belting (2002), S. 86.

5 Vgl. Gattiker, Ernst/Gattiker, Luise (1989), S. 92.

6 Gattiker, Ernst/Gattiker, Luise (1989), S. 92

7 de Campo Liliorum, Udalcrius/Douteil, Herbert: Die Concordantiae Caritatis des Ulrich von Lilienfeld: Edition des Codex Campililiensis 151 (um 1355). Münster 2010, Bd. 1, S. 255.

8 Vgl. Gattiker, Ernst/Gattiker, Luise (1989), S. 255.

9 Treu (1981), S. 20.

10 Vgl. Schmidtke, Dietrich: Geistliche Tierinterpretationen in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters (1100 - 1500). Berlin 1968, S. 277 f.

11 de Campo Liliorum, Udalcrius/Douteil, Herbert (2010), Bd. 1 S. 293.

12 Gattiker (1989), S. 274.

13 Vgl. Ebd., S. 276.


Literaturverzeichnis

Barney  - Barney, Stephen: The Etymologies of Isidor of Seville. New York 2006. 

Belting - Belting, Hans: Hieronymus Bosch. Garten der Lüste. München 2002. 

Bernard - Bernard, Andreae: Antike Bildmosaiken. Mainz 2003. 

De Campo/Douteil - de Campo Liliorum, Udalcrius/Douteil, Herbert: Die Concordantiae Caritatis des Ulrich von Lilienfeld: Edition des Codex Campililiensis 151 (um 1355). Münster 2010, Bd. 1. 

Gattiker - Gattiker, Ernst/Gattiker, Luise: Die Vögel im Volksglauben. Eine volkskundliche Sammlung aus verschiedenen europäischen Länder von der Antike bis in die Gegenwart. Wiesbaden 1989. 

Hercher - Hercher, Rudolph: Claudius Aelianus, De natura animalium libri XVII, 2 Bd. Leipzig. 1864-66. 

Holzberg - Holzberg, Niklas: Ovid, Metamorphosen. Lt.-dt., hg. u. übers. v. N. Holzberg. Berlin/Boston 2017. 

Houtzager - Houtzager, Guus: Illustrierte griechische Mythologie Enzyklopädie. Eggolsheim 2006. 

Keel - Keel, Othmar: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Köln 1972. 

Lother - Lother, Helmut: Der Pfau in der frühchristlichen Kunst. Leipzig. Leipzig 1929. 

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Olbrich - Olbrich, Erhard: Psychologie der Mensch-Tier-Beziehung. In: Lenz, Karl/Nestmann, Frank (Hgg,): Handbuch Persönliche Beziehungen. Weinheim 2009. 

Reimbold - Reimbold, Ernst Thomas: Der Pfau. Mythologie und Symbolik. München 1983. 

Roth-Bojadzhiey - Roth-Bojadzhiey, Gertud: Studien zur Bedeutung der Vögel in der mittelalterlichen Tafelmalerei. Köln 1985. 

Scherbaum - Scherbaum, Anna: Albrecht Dürers Marienleben. 2004. 

Schmidtke - Schmidtke, Dietrich: Geistliche Tierinterpretationen in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters (11001500). Berlin 1968. 

Simon - Simon, Erika: Die Geburt der Aphrodite. Berlin 1959. 

Trenner - Trenner, Florian/Hagendorn, Susanne: Christliche Tiersymbolik. München 2010. 

Treu - Treu, Ursula: Physiologus. Naturkunde in frühchristlicher Deutung. Berlin 1981.