Montag, 1. August 2022

Von Vögeln und ihrer Symbolik. Teil 1: Pfauen und Distelfinken

Ob als zentrales Motiv oder als vage Andeutung im Hintergrund, Vögel sind in einer Vielzahl von Gemälden und Bildnissen, gleich aus welcher Zeit diese stammen, zu finden. Im jeweiligen Bild können sie eine einfache Staffage oder aber ein komplexes mythologisches beziehungsweise religiöses Symbol sein. Um diese Vielschichtigkeit ihrer Bildsprache exemplarisch für zumindest einige Vogelarten zu erläutern, werden dieser und zwei weitere Gastbeiträge insgesamt neun Vögeln etwas genauer auf ihr Gefieder schauen.    - picti mundi 

 

Der Pfau in der Bildenden Kunst

„Der schönste Vogel auf Erden ist der Pfau“1, schreibt der Zoologe Bernhard Grzimek über jenen Vogel, der seit Jahrtausenden von den Menschen in unterschiedlichster Weise in Religion und Kunst rezipiert wird. Sein auffallendes und außergewöhnlich prachtvolles Aussehen verlieh ihm seit jeher eine besondere Beachtung durch den Menschen und so bediente man sich nicht nur seinem schönen bunten Gefieder, sondern versah ihn ebenso mit den unterschiedlichsten Symbolen. Diese Vielfalt an Motiven soll im Folgenden genauer betrachtet und die Symbole sowie ihre kulturelle Verbreitung aufgezeigt werden.  

Ursprünglich stammt der Pfau aus Indien und wurde hier schon früh existentieller Bestandteil der Naturmythen. Aufgrund seiner nützlichen Eigenschaft Schlangen zu töten, als auch der auffallenden Schönheit seines Gefieders, wurde er von den Menschen dort verehrt und in ihre mythologischen Erzählungen eingebunden. Die Verbindung zwischen Natur und göttlichem Wirken ist Ursprung seiner verschiedenen Symbole in Indien. Sein Ruf kündigt den Regen an und so gilt er als Symbol der Fruchtbarkeit, der in der Monsunzeit den erwarteten Regen bringt.2 In einer anderen Erzählung ist er Reittier des indischen Liebesgottes Kama, der mit einem Bogen aus Zuckerrohr die mit Blumen bestückten Pfeile des Begehrens verschießt.3 Hier scheint das prachtvolle Aussehen seines Gefieders als Motivs zu dienen. Er kann aber auch als Begleiter des Kriegsgottes Skanda in Erscheinung treten, hier ebenfalls als Reittier. Die schriftliche Fokussierung auf den Pfau als fliegender Begleiter und Reittier der Götter ist auch auf den Malereien indischer Tempel und Miniaturmalereien beliebtes Motiv 

In der Antike war das mythologische Denken und die Tierwelt stark mit den Göttern verknüpft. Der Pfau, der zirka im 8. Jahrhundert. v. Chr. über Mesopotamien auf dem Seeweg in den Mittelmeerraum gelangt, wurde in den folgenden Jahrhunderten von den antiken Kulturen dieser Regionen ebenfalls in die Symbolik und Bräuche integriert.4 In der griechischen und römischen Mythologie ist der Pfau Attribut der Hera bzw. Juno und wird in verschiedenen antiken Erzählungen aufgegriffen. So beispielsweise in den Metamorphosen des römischen Dichters Ovid (1. Jh. n. Chr.), der in seinem Werk über die Geschichte der römischen und griechischen Mythologie berichtet: […] „Im wendigen Wagen fährt in den klaren Äther Juno, gezogen von bunten Pfauen“ […].5 Hier wird die Verbindung zwischen Göttlichkeit und Pfau, der als Attribut jener Göttin dient, sehr deutlich, ebenso die Verbindung zu Luftraum und Himmel, sodass hier die Grundlage für die Verwendung dieses Motivs zu jener Zeit und den folgenden Jahrhunderten geliefert wird.

Loves, Rages and Jealousies of Juno
von Giulio Bonasone
Denn bereits in der frühen Bildsprache jener Epoche bedienten sich die Künstler dieses Motives und so finden sich auf Kultbildern, die im Zusammenhang mit den mythologischen Zuschreibungen der Götter stehen, Darstellungen von Pfauen.
Ebenso sind auch auf Münzen Illustrierungen von Tieren in das Material eingearbeitet, die so Aufschluss über die zugeschriebene Gottheit geben. So lassen sich in Bezug auf Hera und ihr römisches Pendant Juno, Abbilder von Pfauen erkennen, die die Gottheiten auf den Münzen ergänzen. Neben der mythologischen Verarbeitung ist der Pfau, vor allem im römischen Italien ein gern verwendetes Tier in profanen Darstellungen. Vor allem der Zusammenhang zur Schönheit und der Anmut des Pfaus spielt hier eine Rolle, aber sicherlich auch die Tatsache, dass der Pfau im römischen Kult eine wesentliche Rolle einnahm. Denn bei den sogenannten Luperkalien, ein Fest das jährlich im Februar veranstaltet wurde, diente der Pfau als Opfertier der in Zusammenhang mit einem Reinigungs- und Fruchtbarkeitszauber geopfert wurde.6 Neben dem Brauch, war er aber auch in der römischen Küche äußerst beliebt und wurde als Delikatesse für Festlichkeiten gezüchtet. Eine weitere profane Verwendung war außerdem die Zucht von Pfauen zur Zierde von Gärten, zum Schmuck der Helmzier und Fächer.7 Diese Verbindung zwischen Kult und Pfau lässt sich auch in der römischen Kunst, vor allem in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt wiederfinden. Besonders in Speisesälen römischer Villen war der Pfau ein beliebtes Motiv und wurde auf Mosaiken an Wänden und Böden angebracht. Ebenso auf Wandmalereien und Fresken, manchmal in Begleitung von Grazien oder Eroten.   

 

Die Symbolik des Pfaus in Christentum und Mittelalter ist hauptsächlich durch die Bibel geprägt und wird in diesen Jahrhunderten durch verschiedene Schriften ergänzt, wie dem Physiologus, einer frühchristlichen Naturlehre sowie anderer Schriften, die im Folgenden noch behandelt werden. In der Bildenden Kunst werden bereits im frühen Christentum im sakralen Bereich verschiedene Symbole verwendet und so sind die wichtigsten Verse die alttestamentlichen Schriften im Buch der Könige zu finden (1 Kön 10, 22). Hier heißt es beispielweise: „Denn der König hatte Tarsisschiffe, die auf dem Meer zusammen mit den Schiffen Hirams fuhren. Diese kamen in drei Jahren einmal und brachten Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen“.8 Hier gilt er als Statussymbol wie Gold, Silber oder Elfenbein und versinnbildlicht den Reichtum König Salomos. Im Physiologus wird der Pfau wie folgt beschrieben:  

Der Pfau ist der hübscheste unter allen Vögeln des Himmels. […] Er geht umher, sieht sich selbst mit Freude an und schüttelt sein Gefieder, spreizt sich und blick hochmütig um sich. Wenn er aber auf seine Füße sieht, wird er ärgerlich aufkreischen, denn es entsprechen seine nicht seinem sonstigen Aussehen. So auch du Christenmensch, wenn du deine Aufgaben siehst und das Gute, das du hast, freue dich von Herzen und jauchze in deiner Seele. Wenn du aber deine Füße siehst, das sind deine Fehler, rufe klagend zu Gott und hasse die Ungerechtigkeit wie der Pfau seine Füße, damit du vor dem Bräutigam gerecht erscheinst.9 

Auch hier wird sein besonders prächtiges Aussehen hervorgehoben, jedoch auch schon die Grundlage geschaffen, für die in späterer Zeit häufig gebräuchliche Verbindung des Pfaus mit den Lastern und der Eitelkeit. Erweitert wird die Glaubensvorstellung und die daraus resultierende Symbolik durch die Naturlehre des römischen Schriftstellers Plinius (1. Jh. n. Chr.), der in seinem Werk die Widergewinnung des Gefieders im Frühling als „renascitur“, also als Wiedergeburt bezeichnet und ihn in der Kunst ebenso im Zusammenhang im himmlischen Paradies verortet und zum Sinnbild ewigen Lebens führt.10 Auch führte man seine Unsterblichkeit auf die Konsistenz seines Fleisches zurück. So berichtet der Heilige Augustinus (5. Jh. n. Chr.) in seiner Schrift „Vom Gottesstaat“ von seiner Erfahrung mit Verzehr und Verderblichkeit des Pfauenfleisches. Seiner Erfahrung nach sei dieses unverderblich und könne wochenlang aufbewahrt werden, ohne zu verwesen.11 Beispiele dieser Interpretationen in der Bildenden Kunst finden sich aus frühchristlicher Zeit zu genüge, denn diese Symbolik wurde zu einem beliebten Thema auf Fresken und Reliefs in Katakomben, als auch auf Darstellungen von Sarkophagen.12 Betrachtet man sich hierzu die Verwendung dieses Motivs, fällt auf, dass der Pfau meist paarweise auftritt, möglicherweise um Tod und Auferstehung gegenüberzustellen. Auch ist der christliche Zusammenhang oft deutlich herausgestellt, wie die zahlreiche Verwendung von Christusmonogrammen und anderer christlicher Symbole deutlich macht. Mit der Zeit wurde der Pfau in der Ikonographie zunehmend im Zusammenhang mit dem Wasser des Lebens dargestellt und findet sich in kirchlichen Reliefs, aber auch in Baptisterien oder auf Darstellungen der Eucharistie.13 Im Laufe des Mittelalters wurden auch zunehmend Schriften der Evangelien aufgegriffen, so war bereits im 13. und 14. Jahrhundert die Verkündigungsszenerie ein geläufiges Thema in Kunst und Buchmalerei. Auch war es nicht zwingend einen Pfau vollständig abzubilden, sondern es konnten durch Andeutungen seine Anwesenheit generiert werden, die so seine Symbolik repräsentierten. Beliebt waren hierbei die Schwanzfedern des Pfaus, die sicherlich der auffallendste Bereich seines Gefieders sind und auch in Spätmittelalter und Renaissance sehr häufig in Erscheinung traten. Seinen Ursprung hat dieses Motiv sicherlich in der liturgischen Verwendung als „flabellum“, ein Pfauenfächer der die Vieldeutigkeit des Pfaus repräsentieren sollte und in Zusammenhang mit Macht und Würde stand, aber auch mit Gesten der Anbetung verbunden war.14 

Johannes op Patmos Saint John on Patmos
von Hieronymus Bosch

Auch in der Renaissance fanden die bereits vorgestellten Symbole, die der Pfau innehatte wieder Verwendung und wurden, wie im Folgenden erläutert werden soll, durch weitere Themen und Motive ergänzt. 
Im späten Mittelalter und der frühen Renaissance wurde der Pfau, als auch das Pfauengefieder als Attribut Heiliger weiterhin eingesetzt und diente vor allem der Versinnbildlichung der Auferstehung. Im Martyrium der heiligen Barbara beispielsweise führt ihr christlicher Glaube zu Erlösung ihrer Geißelungen im Jenseits.15 Ein weiteres wichtiges Thema, durch das die Symbolik des Pfaus ergänzt wurde, ist die die Verkündigungsszenerie, die im 15. und 16. Jahrhundert ein beliebtes Thema in der Malerei war. Zahlreiche Künstler machten sich die Symbolik des Pfaus zunutze, darunter Maler wie Hieronymus Bosch (ca. 1450-1560), Filippo Lippi (1406-1469) oder Carlo Crivelli (ca. 1430-1495).
Auf Boschs Gemälde „Johannes auf Patmos“ (um 1480) tritt der Verkündigungsengel, wohl Gabriel, mit dem Finger weisend Richtung der Heiligen Maria die das Jesuskind in den Armen hält, in Erscheinung. Der Erzengel trägt hier, auffällig zu erkennen, Pfauenfedern als Flügel und so greift Bosch die bereits erwähnte Vieldeutigkeit der Pfauensymbolik auf und integriert diese in sein Werk. Eben jene Symbolik ist auch auf Lippis „Mariä Verkündigung“ (um 1435) wiederzufinden, der sich ebenfalls dieses Motivs bedient. Carlo Crivelli verzichtete in seinem Gemälde „Verkündigung“ (um 1486) hingegen auf die Darstellung des mit Pfauengefieder geflügelten Engels und entschied sich für das Bild des Pfaus

Verkündigung von Carlo Crivelli
In der Renaissance standen aber nicht mehr ausschließlich christliche Themen im Vordergrund, sondern im Selbstverständnis dieser Epoche, die im Allgemeinen auch als „Wiedergeburt“16 bezeichnet wird, erlebte die Gesellschaft auch eine Rückbesinnung der Antike, vor allem der griechisch-römischen Mythologie. Dies spiegelte sich auch in der Kunst der Renaissance wieder und fand sich auch im Barock in den verschiedensten Bereichen der Bildenden Kunst Verwendung, wie der Malerei und der Plastik. In Spätrenaissance und Barock war der Pfau in diesem Zusammenhang ebenfalls weiterhin ein beliebtes Motiv und man griff ebenso auf negative Konnotationen zurück, die bereits in der Frühzeit der Symbolik entstanden. Zu nennen ist hier beispielsweise die Beschreibung des Pfaus im Physiologus, der wie bereits erwähnt an seinen Füßen keinerlei Schönheitsmerkmale trägt und so eine negative Bedeutung erhält. Vor allem wird aber sein prachtvolles Gefieder und seine Schönheit als negative Deutung etabliert und so erhält der Pfau Attribute wie Hochmut, Hoffart und Eitelkeit.17 
Neben dem christlichen und mythologischen Themenbereich lässt er sich auf Kunstwerken dieser Zeit aber auch in profanen Darstellungen wiederfinden. Zahlreiche bedeutende Künstler, wie Peter Bruegel (1529-1569), Peter Paul Rubens (1577-1640), Willem Pietersz Buytewech (ca. 1591-1624) und Jan Brueghel der Ältere (1568-1625) griffen diese unterschiedlichen Themen zu dieser Zeit auf. Vor allem Peter Paul Rubens wählte für den Pfau oftmals ein mythologisches Umfeld und Themen wie das Urteil des Paris, die Geburt der Milchstraße und die Argussage. Auf allen diesen Werken tritt der Pfau in den bereits erwähnten Symbolen in Erscheinung. Im Urteil des Paris, befindet sich dieser zu Junos Füßen, auf der Entstehung der Milchstraße ziehen zwei Pfauen ihren Wagen und in der Argussage sitzt er auf dem Wagen der Juno. Im Werk „Das Paradies“ von Rubens und Brueghel der Ältere ist der Pfau hinter Eva platziert und soll die Weiblichkeit und Schönheit Evas symbolisieren.18  

Weitaus profaner nutzten Peter Breugel und Willem Pietersz Buytewech die Darstellung des Pfaus in ihrer Kunst. Breugel war beispielweise angeblich der Meinung, man könne die Allegorie des Geschmacksinns nicht überzeugender darstellen, als durch einen prächtigen Pfauenbraten.19 Diese Auffassung findet sich auch in seinem Gemälde „Der Geschmackssinn“ von 1617 wieder. Hier ist deutlich eine reich gedeckte Tafel zu erkennen, die mit den unterschiedlichsten Speisen versehen ist, darunter auch ein Pfau der an seinen Federn zu identifizieren ist. Im Vordergrund des Bildes, am unteren rechten Rand, ist ebenfalls ein Pfau zu sehen der auf einer Ansammlung, wahrscheinlich toten Gefieders, liegt. Weniger martialisch erscheint hingegen das Werk „Gesellschaft im Freien“, um 1616/17 von Buytewech, welches durch seinen Titel bereits vermuten lässt, dass es sich um eine Zusammenkunft höfischer oder adeliger Personen handelt. Auch hier sind auf einer Tafel verschiedene Mahlzeiten dargestellt, der Pfau tritt aber deutlich auffälliger in Erscheinung, da er das einzige Tier auf dem Bankett ist. Der Hintergrund dieser Pfauensymbolik ist sicherlich seine Schönheit, aber auch die Tatsache, dass er in der Antike, aber auch in Mittelalter und Moderne noch beliebte Mahlzeit war, wie Koch- und Rezeptbücher dieser Epochen verraten.20 

La Grande Odalisque von
Jean Auguste Dominique Ingres

In der Moderne, mit Beginn des Klassizismus Ende des 18. Jahrhunderts, ist der Pfau in der Bildenden Kunst auch weiterhin in der bereits bekannten Symbolik dargestellt worden. Die Plastik des Pfaus in Vestibül von Schloss Herrenchiemsee um 1880 präsentiert den Pfau in seiner typischen prachtvollen Erscheinung, im Gemälde Eva oder die Eitelkeit“, um 1800, von Christian Gottlieb Schick (1776-1812) steht der Pfau sowohl für die Schönheit Evas, als auch für ihre Eitelkeit als diese zum ersten Mal ihr Spiegelbild betrachtet.21 Auf Jean Auguste Dominique Ingres (1780-1867) Bild „Große Odaliske“, um 1814, wird durch die im Fächer eingearbeiteten Pfauenfedern die Anwesenheit des Pfaus und sein Attribut der Schönheit in dieser Szenerie generiert.  

Im Jugendstil um 1900, dient er dann nicht mehr nur in der Malerei und Plastik als gern verwendetes Motiv, sondern auch als dekorative Möbelapplikation oder als Malerei auf Vasen, Glasarbeiten oder anderen Gefäßen aus Keramik. Er steht in dieser Zeit vor allem für Luxus und seine Symbolik reicht bis in die Erotik als Begleiter der Frau die in Erscheinung der „Femme fatale“, für die Versuchung, sündiger Begierde und Lüsternheit steht.22 



Der Distelfink in der Bildenden Kunst  

Schon in der Antike wurde in naturkundlichen Werken die Existenz dieses Finken erwähnt. Nach den Beschreibungen des römischen Autoren Aelian (2./3. Jahrhundert), leitet sich die Herkunft des Distelfinken etymologisch von der Akanthuspflanze, einer Distelart, ab von der der Distelfink sich ernährt.23 Auch der römisches Schriftsteller Isidor (6. Jahrhundert n. Chr.) erwähnt den Vogel im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme durch Dornen und Disteln.24

Distelfink von Carel Fabritius, 1654

Obwohl er in der Literatur der Antike bereits Erwähnung findet, ist er im Vergleich zu andere Vogelarten wie dem Schwan oder der Taube in der Bildenden Kunst dieser Zeit nicht zu finden und erlangt als Symbol erst in späterer Zeit besondere Bedeutung. Da die Symbolik des Distelfinken in der Bildenden Kunst der Antike und in der der Moderne keine nennenswerte Bedeutung einnimmt, wird hier von einer Betrachtung dieser abgesehen 

 

Die Symbolik des Distelfinken, der auch Stieglitz genannt wird, entsteht im frühen Mittelalter und wird in der Plastik und Malerei des Mittelalters so häufig dargestellt wie kaum ein anderer Vogel und ist vor allem im Themenbereich, um Maria und den Jesusknaben zu finden.25 Hierzu zählen vor allem Darstellungen zu Paradiesgärten, Heiligenbildern und Kinderporträts, aber auch die Buchmalerei und Wirkteppiche.26 Vor allem im Zusammenhang mit der christlichen Ikonographie ist die Häufigkeit seines Erscheinens auffällig, da er in der Bibel nicht erwähnt wird.

Psalter of Bonne de Luxembourg

Das Aufkommen seiner Darstellung in der europäischen Kunst beginnt im 13. Jahrhundert und etablierte sich in dieser Zeit in Bibeln sowie Stunden- und Gebetbüchern.27 Hier zierte der Distelfink, neben anderen bunten Vögeln, die Randleisten der Seiten, dies jedoch nicht zwingend in religiösem Zusammenhang, sondern auch als profanes dekoratives Schmuckelement mit weiteren Elementen wie Blumen, Blättern und Rankenwerk.28 In der „Concordantiae Caritatis“ des geistlichen Schriftstellers Ulrich von Lilienfeld aus dem 14. Jahrhundert, wurde die bereits seit der Antike existierende Beschreibung zur Lebensweise des Distelfinken wieder aufgegriffen und im christlichen Glauben etabliert. Vor allem die Dornen der Distel und das trockene Ödland, auf dem sie wächst spielen eine große Rolle. So deutete man das Leben des Vogels in den Dornen als den geduldig, dass Kreuz tragenden Christus und die Distelnahrung als das entbehrungsvolle Klosterleben und die Anstrengungen der Menschen die nach Tugend streben.29 Auch das Kopfgefieder spielt in der Ikonographie eine Rolle, denn das schwarz-weiß-rote Muster verband man mit der Vorstellung des blutüberströmten Kopfes Jesus Christus, wodurch er sich vor allem als Passionssymbol in der Motivwelt der mittelalterlichen Kunst etablierte. Ebenso findet er sich auf der Darstellung der biblischen Entstehung der Welt (Genesis) in der Holkham Bible, einer Handschrift des 14. Jahrhunderts. Hier sind zahlreiche Tiere abgebildet, darunter auch ein Distelfink. Neben religiösen Hintergründen der Finkensymbolik, spielt auch der Volksglaube eine Rolle, denn auch im Mittelalter galt die Distel als Heilmittel gegen verschiedene Krankheiten und so übertrug man die Wirkung der Distel auf den Distelfinken, der sich von den Samen der Pflanze ernährt. Zudem erweiterte man die Symbolik der heilenden Kraft durch die Auferstehung des von der Krankheit Genesenen.30 Auf einer Tafel aus der Werkstatt Martin Schongauers im 14. Jahrhundert wird auf ebendieses Thema Bezug genommen. Abgebildet ist hier die knieende Maria Magdalena sowie der auferstandene Jesus. Auffällig an dieser Stelle, ist das Salbgefäß, welches sich zu ihren Füßen befindet. Im Baum im oberen Teil des Bildes sitzen zwei Distelfinken und symbolisieren die Heilung und Auferstehung Jesus Christus.31  
Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch
Auch die Schönheit des Vogels spielt in der christlichen Ikonographie eine bedeutende Rolle, da diese für die Schönheit und Tugendhaftigkeit Christus' steht. Die Vielfalt der Farben gilt als Hinweis auf das mannigfaltige erbarmen Gottes und der Gesang als Lob und Herrlichkeit Gottes.32 Des Weiteren galt der Vogel als leicht zu fangen und ließ sich angeblich im Käfig gut halten, weshalb er in Verbindung mit der Verkündigungsszenerie oft in Erscheinung tritt und so auf die wohlbewahrte Jungfräulichkeit hinweist.33   

Der Distelfink in Verbindung mit Christus und Maria ist im Mittelalter wie bereits erwähnt ein weit verbreitetes und häufig eingesetztes Motiv. Die böhmische Tafelmalerei „Madonna von Zbraslav“ um 1360, ist eines der frühesten Beispiele für das Vorkommen des Distelfinken in der Malerei.34 Vor allem die Darstellung des Distelfinken haltenden Christus, ist ein stilistisches Merkmal, dass über Jahrhunderte hinweg beliebt war und somit in der symbolischen Aussagekraft sicherlich von großer Bedeutung war.  

Madonna im Rosenhag
von Martin Schongauer

Wie eingangs bereits erwähnt, war auch die Darstellung der Maria im Rosenhag und im Paradiesgarten ein oft genutztes Motiv wie Martin Schongauers „Madonna im Rosenhag“ (1473), Hans Burkmairs „Muttergottes in der Landschaft“ (1509), und „Maria im Paradiesgarten“ (um 1425) das Werk eines unbekannten Malers zeigen. Auch andere Bildthemen, die das Spektrum der Heiligen erweitert finden sich. Beispiele sind hier Darstellungen der Anna Selbdritt wie ein Gemälde eines Meisters der Habsburger Ahnentafeln „Anna Selbdritt mit Stifter“ (1504), als auch Michael Wolgemuts „Heilige Anna Selbdritt“ (1510) zeigt. Auf letzterem ist neben dem Distelfinken, der Schwan in die Bildsprache integriert worden, der ebenfalls über eine christliche Symbolik verfügt. 

Neben der direkten Anlehnung zu Heiligen, kommt er auch auf Werken mit christologischem Bezug vor. Auf einem Wirkteppich, dem sogenannten Einhornteppich aus dem späten 15. Jahrhundert, ist eine Jagdszenerie dargestellt in dessen Mitte sich ein wasserspeiender Brunnen befindet und an dessen Rand ein Fasanen- sowie Distelfinkpärchen sitzen.35 Der christliche Bezug wird hier durch die an der Säule des Brunnens angebrachten Buchstaben Alpha und Omega hergestellt, die so unmittelbar auf Jesus Christus hinweisen sollen. Im Neuen Testament heißt es in der Offenbarung des Johannes (Offb 21,6) hierzu: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich unentgeltlich aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt.“ Somit ist auch hier die göttliche Anwesenheit gegeben und hebt den Distelfinken in die Rolle eines Heiligenattributes 

Madonna mit dem Stieglitz
von Giovanni Battista Tiepolo

Die Metaphorik rund um den Distelfinken bleibt auch im Barock Bestandteil der neuzeitlichen Malerei. Das Gemälde „Madonna mit dem Stieglitz (1760) von Giovanni Battista Tiepolo ist ein Beweis für die lange Bildtradition, die sich in der Kunst mehr als 400 Jahre erhalten hat und auch in dieser Epoche, kurz vor dem Umbruch in die Moderne, noch in der ursprünglichen Bedeutung verwendet wurde. In der Folgezeit verschwindet das Motiv des Distelfinken jedoch weitestgehend aus der Kunst und ist heute sicherlich weitaus weniger präsent, als noch im Mittelalter. 
Da der Vogel hauptsächlich mit der Marienverehrung in Verbindung stand, ist es nicht verwunderlich, dass nach der Aufklärung, dem Schwinden des kirchlichen Einflusses und der Säkularisierung nicht alle Motive erhalten geblieben sind. Für die Mensch-Tier-Beziehung jedoch ist dieser historische Einblick dennoch relevant, denn er zeigt deutlich wie die Menschen des Mittelalters zur Erklärung der Welt Mensch, Natur und Göttlichkeit zusammenführten. Man könnte hier auch von einer Mensch-Tier-Gott-Beziehung sprechen, in der die Vogelart des Distelfinken auf die Ebene der Göttlichkeit und des göttlichen Wirkens gehoben wird und so über die Kunst dieser Zeit die Vorstellungswelt der Menschen prägte.  

 

Dieser Blogeintrag wurde verfasst von Philippe H. 

Literaturverzeichnis

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