Samstag, 28. Januar 2017

Gezeichnete Räume und ihre mögliche Bedeutung für den jeweiligen Anime

Bei alle jenen schönen Definitionen von Räumen und Raummodellen, die es gibt, ich sage nur Heterotopien und Nicht-Orte, sind für diesen Blogeintrag nur drei Elemente des Raumes wichtig, das Außen, das Innen und die Schwelle.
© Universum Film
Dem architektonisch errichten Raum nähert man sich von Außen und muss durch einen Durchgang, um ins Innere zu gelangen. Bereits an der äußeren Erscheinung eines Gebäudes, lässt sich für gewöhnlich auch viel über sein Inneres ableiten, auch wenn dies mit unter trügerisch sein mag. Diese Gebäude erzählen aber nicht nur über ihr Äußeres etwas über ihr Inneres, sondern immer auch zugleich etwas über die Welt, in der und über den Kontext, unter dem sie erbaut wurden.
Das gezeichnete Filmbild ermöglicht gerade in diesen Aspekten gegenüber dem realweltlichen filmischen Abbilden völlig kreative Freiheit, die auf die verschiedensten Arten ihren Ausdruck finden kann. Im Idealfall ermöglicht es die Phantasie des Zeichners eins zu eins umzusetzen. 
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Gezeichnete Schwellen können demnach jedwede Form annehmen, sie können im Einklang mit dem architektonischen Verständnis eines Durchganges oder aber fantastischer und irrealer Natur sein, wodurch sie nur innerhalb dieses Werkes und seiner Erzählung zu einer Schwelle werden, in der Realität jedoch keine Entsprechung haben.
Die Beschaffenheit eines Raums lässt sich häufig schon an Kleinigkeiten pars pro toto fassen und hierdurch ebenfalls die Lebenswirklichkeit der dort wohnhaften Figuren. Somit kann ein Kleinigkeit den Gesamteindruck eines kompletten Raums - gegebenenfalls sogar eines ganze Lebens - enthalten und dem Publikum dies innerhalb eines Augenblickes vermitteln.
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Allerdings ist ein Raum unweigerlich mehr als nur ein Ding, welches ihn gerade repräsentieren soll. Denn es ist vor allem das gleichzeitige Nebeneinander von unterschiedlichen Dingen, welches die feine Nuancen erkennbar macht, soll heißen, dass der Gesamteindruck immer eine Vielschichtigkeit besitzt, die im Blick auf ein oder wenige Details verloren geht.
Dieser Blogeintrag wird sich im Folgenden anhand von vier Titeln intensiver mit den dort vorhandenen Raumstrukturen und ihrer Aussage für jedes einzelne von diesen Werken befassen, hierbei werde ich nicht umhin kommen teils wirklich explizit auf den Inhalt der entsprechenden Animes einzugehen. Diese sind Ein LandarztSangatsu no LionDie Legende der Prinzessin Kaguya und Yojouhan Shinwa Taikei.

Die äußerst textgetreue Animeadaption von Kafkas „Ein Landarzt“ besticht vordergründig vor allem durch ihren eigenwilligen Zeichenstil, der für Werke Koji Yamamuras nicht ganz unüblich ist, hier aber noch einmal besonders bizarr inszeniert wird. Das Wohnhaus, als architektonisch kulturell gebildeter Raum, wird hier als Schutz vor schroffer Natur und gefährdender Bedrängnis etabliert.
Einem Landarzt, der des Nachts einen weit entfernten arg Erkrankten besuchen soll, scheint dies aufgrund des Todes seines Pferds und dem Mangel eines Leihtieres zuerst nicht möglich zu sein. Jedoch entdeckt der Landarzt sodann in einem eigentlich leerstehenden Schweinestall, also innerhalb der Mauern seines Hofes, einen Fremden mit zwei Pferden. Dieser überlässt ihm bereitwillig die beiden Pferde, lehnt es jedoch ab den Arzt bei der nächtlichen Fahrt zu begleiten, sondern möchte sich stattdessen an des alten Landarztes Dienstmädchen Rosa vergreifen, ganz zum Schrecken ihrer.
Dennoch begibt sich der Landarzt zu jenem Patienten, wird dort von dessen Verwandtschaft in eine kärgliche Hütte geführt, worauf er damit beginnt den Schwerkranken zu behandeln. Unvermittelt strecken die beiden Pferde ihre Häupter durch die vormals verschlossenen Fenster und rufen dem Landarzt durch ihr Durchbrechen der Schwelle von Innen- und Außenraum abermals den Unbekannten ins Bewusstsein, welchen er mit der schutzlosen Rosa in seinem nun von ihm verlassenen Hofe weiß.
Räume werden hier hauptsächlich als Abgrenzungen zu etwas anderem verstanden und legen somit an dieser Stelle auf die verschiedenen Grenzüberschreitungen den Fokus des Gezeigten.
In „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ wird die Schwelle dagegen vielmehr zum eigentlich Ort der Handlung, denn der Film evoziert gewissermaßen den Übergang als Raum an sich. Was bereits mit Kaguyas Geburt ersichtlich ist. Sie kommt aus einer Bambusknospe, aus einer zuvor durch den alten Mann nicht erfahrbaren Wirklichkeit, in den ihm zugänglichen Bambushain nieder und reift alsdann bei ihm und dessen Frau in einer Bergsiedlung heran. Diese Hütte, in der sie darauf heranwächst, ist zwar als bestehender Raum begreifbar, allerdings scheint diese Kaguya nicht recht fassen zu können, da sie sich über ihre eigene Zeit der räumlichen Begrenzungen entzieht, wodurch sie an dieser Stelle des Anime mit den übrigen Figuren nicht dasselbe Raum-Zeit-Kontinuum zu teilen scheint.
In welchem Maße die Schwelle hier als Ort des Geschehens akzentuiert wird, wird vor allem an Kaguyas Bewegungen und den nächsten Bildern des Filmes deutlich, da sie große Strecken keineswegs zu Fuß zurücklegt, sondern in einem Karren reist, was selbst für ihre Überfahrt zum Mond gilt. Die Male, wenn sie sich vermeintlich frei ohne derartiges Fuhrwerk über weite Entfernungen zu bewegen scheint, wird dies nachträglich stets als durch sie imaginiert oder erträumt verbildlicht. 
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Mit ihrer Ankunft in der Hauptstadt hat sie zwar ihre Lokalität gewechselt, jedoch ist das größere Haus, welches die Familie von nun an bewohnt - noch mehr als es zuvor die Berghütte war - ein Raum des Übergangs. Was simultan gleich mehrere Fortschritts- und hierdurch Schwellenelemente vereint.
Das lebendigte Püppchen einer Prinzessin, als welches sie der alte Bambussammler fand und welches in den Händen seiner Frau zu einem wirklichen Baby wurde, soll ebendort im nun wieder erstarkten Bereich der (adoptiv)väterlichen Wünsche, zu einer edlen Dame werden, was am Einkleiden mit teureren Stoffen visualisiert wird. Für eben dieses Vorhaben wird extra eine Erzieherin eingestellt, die dafür sorgen soll, dass sich das Kind zu einer angesehenen Erwachsenen, die alle kulturellen Gepflogenheiten beherrscht, entwickelt. Ferner wird Kaguya an eben diesem Ort zu einer Frau werden und sodann ihren Namen erhalten, was sie als körperlich und gesellschaftlich gereift zeigt. Dass sie hierauf nicht nur einige Edelleute ehelichen wollen, gleich welche Mühen sie hierfür auch zu erbringen haben, sondern sie von diesem Hause aus auch wieder zurück zum Mond kehren wird, bildet auch diese Räumlichkeiten, die noch dazu so groß sind, dass der Film es nicht vermag sie als Ganzes zu fassen, als eine weitere zu überschreitende Schwelle ab. Dass das Publikum am Ende des Werks Isao Takahatas, durch das Zurückblicken Kaguyas auf die Erde und der Visualisierung von Kaguya als Baby auf dem Antlitz des Vollmondes, weiß dass sie wieder auf die Erde zurückkehren wird, wie es im von ihr und anderen Figuren im Verlauf des Animes mehrfach angestimmten Lied heißt, bildet abschließend den letzten Übergang, welchen der Film für die Figur Kaguya bereit hält.
Dementsprechend gibt es zwar viele konkret erfassbare Räume innerhalb von „Die Legende der Prinzessin Kaguya“, allerdings dienen diese - wie bereits gesagt - nur als Übergangs- respektive Durchgangsräume für Kaguya, sodass die Räumlichkeit innerhalb dieses Filmes zur durchschreitbaren Schwelle wird.
Was sich auch im filmischen Motiv der Kirschblüten wiederfindet, die in gewisser Weise Kaguyas Heranwachsen, Erblühen und Vergehen - als aus der gewohnten Zeit enthoben - symbolisch aufgreifen.
In der elften Folge von „Sangatsu no Lion“ werden Räume ganz anders wahrnehmbar als bei den beiden bisherigen Beispielen. Schwellen und das Äußere sind dort nicht das, was relevant ist, sondern stattdessen ist es das Innere des Raum. Rei Kiriyamas Zimmer wird während seiner Krankheit als ein Raum dargestellt, in den nur schwach das Sonnenlicht eindringt und der zwar unordentlich ist, aber zeitgleich durch seine verhältnismäßige Leere auch unbelebt und unbewohnt wirkt. Aber selbst eine Folge später ist das Zimmer, obgleich nun ordentlich und erhellt, immer noch unwohnlich und gibt beispielhaft die Einsamkeit seines Bewohners kund. Alles dort befindliche ist spärlich, funktional und weist keine eigene Persönlichkeit oder gar Geschichte auf.
Der Kontrast seiner Wohnung zum Haus der Familie Kawamoto, den Rei Kiriyama in der 12. Episode des Animes selbst schmerzlich erfasst, verbildlicht sich in jenen gerade benannten Aspekten seines Inventars am deutlichsten. Das Haus der Familie Kawamoto, was vornehmlich an der Einrichtung der Zimmer erkennbar ist, besteht aus verschieden, bunt zusammen getragenen Gegenständen, die älter, in reichlicher Menge vorhanden und farbenfroh sind. Zudem verweisen die Möbel, kleinen Dekorationsobjekte - etwa auf dem Fernsehapparat - und insbesondere der Familienschrein auf eine lebhafte Vergangenheit, die sowohl dem Zimmer selbst, als auch der Familie Kawamoto und ihrer Beziehung zu diesem Raum innewohnt. Die verschiedenen Räume mit ihrem jeweilen Inventar dienen in „Sangatsu no Lion“ also als ein Abbild des Innenlebens ihrer Bewohner.
In „Yojouhan Shinwa Taikei“ geht es weit weniger um jenen gerade geschilderten Vergleich von Innenräumen, mit den entsprechenden Implikationen auf das Leben der dort wohnhaften Figuren, auch wenn der viereinhalb Tatamimatten fassende Raum in diesem Werk Masaki Yuasas durchaus durch sein Inventar zahlreiche Verweise auf seinen namenlosen Bewohner enthält. Die architektonische Bedeutung, auf die sich dieser Anime fokussiert, was an der zehnten Folge „Die viereinhalb Tatamimatten Ideologie“ besonders trefflich eingefangen wird, ist der geschlossene Raum. Es mag zwar eine Türe, wie auch ein Fenster geben, nur erweisen sich diese Schwellen beim versuchten Durchqueren als unpassierbar oder um es genauer zu fassen, diese Schwellen sind zwar durchlässig, jedoch führen sie nicht in ein normalerweise zu erwartbares Außen, sondern stattdessen nur - ein ums andere Mal - neuerlich in ein quasi identisches Innen. Selbst durch das Durchbrechen von Wänden - die gewissermaßen die Raumstruktur abbilden - gelingt es dem unbenannten Ich-Erzähler dieses Animes nicht außerhalb dieses einen Raums zu gelangen. Dieser neue Innenraum, der sich nach jedem Durchgang durch die Schwelle vor der namenlosen Hauptfigur öffnet, ist zwar stets eine Variation des alten Innenraumes, den dieser kurz zuvor verließ und somit nicht mit dem neuen in jeder Einzelheit identisch, allerdings ist die jeweils neu vorgefundene Abweichung, wie interessant sie für den nicht benannten Protagonist auch erscheinen mag, doch nicht das ersehnte außerhalb. 
Der einzelne Innenraum wird für ihn in dieser zehnte Folge zu einem schier undurchdringlich erscheinenden Irrgarten. Erst in der letzten Folge des Animes, die den Namen „Das Ende des Zeitalters der viereinhalb Tatamimatten“ trägt, wird sich zeigen, dass dieser Innenraum kein Irrgarten, sondern ein sich ins beinahe Endlose verzweigende Labyrinth ist.
Während ein Irrgarten viele verzweigte Wege und Sackgassen in seiner Konzeption besitzt, zeichnet sich ein Labyrinth durch eine logisch strukturierte Linienführung aus, die keine Abwege kennt und in verschnörkelten Kurven unweigerlich ins Innere des Labyrinths führt. Ein Irrgarten raubt dem Besucher seine Orientierung, während ein Labyrinth es ihm ermöglicht, dass er gedankenversunken einen vorbestimmten Weg hinter sich bringen kann. In der griechischen Mythologie birgt das Innere des Labyrinths den Minotaurus, ein Menschen fressendes Wesen, das ebendort weggesperrt ist. Der Minotaurus mag ein Untier sein, dem geopfert wird, ist aber ebenfalls auch ein Resultat der Verfehlungen von Minos gegenüber Poseidon und als solches ein Sinnbild dafür, wie Minos versuchte seinen einstigen Fehler zu verstecken. 
Erst mit dem Tod des Minotaurus ist dieses Zeugnis des Wortbruchs Minos anscheinend aus der Welt geschafft.
Tatami Galaxys namenloser Ich-Erzähler, der einen Teil des Labyrinth aus Innenräumen 80 Tage lang durchwandert, gelangt schließlich in ebenjenem Raum, in dem er einst startete und an dieser Stelle zum eigentlichen Inneren des Labyrinths.
Um jedoch hierauf wieder in die ersehnte Außenwelt zu gelangen, muss er sich jenem Ungeheuer stellen, welches ihn ebendort in der Mitte des Labyrinths erwartet. Er muss sich selbst gegenüber treten und realisieren, dass das von ihm als böse Prinzip empfundenes Gegenüber namens Ozu nicht ein solches ist und er muss erkennen, was seine eigenen Wünsche und Bedürfnis sind. Erst dieses Gewahrwerden seiner selbst öffnet ihm eine Schwelle - passenderweise in der Gestalt eines Mottenschwarms - die ihm sodann den Weg weist, welchen er fortan zu gehen habe. Das Ergreifen der Gelegenheit, die die ganze Zeit direkt vor seiner Nase hing, führt ihn aus der Verflechtung der Innenräume nach Außen und auf den ihm bestimmten Weg. 
© Universum Film
Der Blick auf diese unterschiedlichen Räume dieser vier verschiedenen Animes legt doch gänzlich divergente Konzeptionen von architektonischen Räumen dar und zeigt, wie räumliche Strukturen - gerade, wenn sie, wie im Falle des Animationsfilms,speziell für das jeweilige Werk kreiert wurden - maßgeblich für die jeweilige Erzählung sein können. Besonders auffällig scheint mir, anhand dieser wenigen Beispiele bereits zu sein, dass wenngleich eben hier auch nur von drei räumlichen Komponenten gesprochen wurde - dem Inneren, dem Äußeren und der Schwelle - sich eine ungeahnte Vielzahl von Variationen in diesen verbirgt. Räumliche Positionierungen im Verhältnis zu Figuren und Gegenständen, wie oben und unten, links und rechts, vorne und hinten, nah und fern mit ihrem entsprechenden sinnbildlichen Verweischarakter sind in diesem Beitrag noch gar nicht angesprochen worden, aber für ein Verständnis dessen, was ein Filmbild beim Publikum im Sinne der Narration zu bewirken sucht, eben so relevant, wie das bisher gesagte.