Dienstag, 9. Dezember 2014

Émile Bravos "Pauls fantastische Abenteuer" und die Ebene hinter einem Comic

Nachdem sich Émile Bravo mit seinen Comics auch in Deutschland einen Namen gemacht hat, veröffentlicht Carlsen Comics nun eines seiner frühen Werke „Pauls fantastische Abenteuer“ (Une épatante aventure de Jules).
Zu Comics, die zu Bravos heutiger Bekanntschaft beigetragen haben, zählen vor allem „Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen“ („Ma maman est en Amérique, elle a rencontré Buffalo Bill“, 2007) und sein Beitrag zum „Spirou“-Magazin „Porträt eines Helden als junger Tor“ („Une aventure de Spirou et Fantasio: Le Journal d‘un ingénu“, 2008). 
Für die sechsteilige Comicserie „Pauls fantastische Abenteuer“, die zwischen 1999 und 2011 erschien, wurde Bravo 2002 mit dem René-Goscinny-Preis ausgezeichnet, der den besten Szenarist eines Jahres würdigt und während des Festival International de la Bande Dessinée d‘Angoulême von einer Jury vergeben wird. Bravo, der sich mit seinen Zeichnung gezielt auch an ein jüngeres Publikum wendet, legt mit diesem Comic eine Geschichte vor, in der ganz gewöhnliche Kinder überraschend immer wieder in verblüffende Geschehnisse verwickelt werden. 
© Carlsen Verlag
Die Protagonisten dieses Comics, das Mädchen Janet und der zwölfjährige Junge Paul, reisen innerhalb der ersten drei von Bravo geschaffenen Geschichten zu einem fernen Planeten und durch die Zeit, sie vereiteln mehrfach die Machenschaften eines "verrückten Wissenschaftlers" und werden bei einer Exkursion in einer Höhle verschüttet. 
Émile Bravo, der sich bei dem von ihm erzählten Stoff durchaus freudig an bestehenden Klischees bediente, tut dies auf eine Weise, dass die Klischees zwar weiterhin als solche fortbestehen, doch aus unerwartbaren Gegebenheiten innerhalb des Comics erwachsen. Dieses gezielte Spiel Bravos mit Vorurteilen, altbekannten Handlungsmustern sowie herkömmlichen Erzählstrategien führt bei seinem Werk „Pauls fantastische Abenteuer“ dazu, dass innerhalb der Handlung eine Verhaltens- und Gesellschaftskritik mit verschiedensten Aspekten gegeben ist, die gerade dort äußerst erhellend ist, wo sie die gewohnten Erzählweisen aufzeigt und vorführt. 

Die Kolorierung dieser Comicserie ändert sich von der ersten zur zweiten Ausgabe. Im ersten Band (Walter) sind es bunte und strahlende Farben, die die Panels ausfüllen, die in ihrer Art an Superheldengeschichten denken lassen, während im zweiten Band (Delphine Chedru) mattere und gesetztere Farbtöne vorherrschen, was diese Kolorierung realer wirken lässt. Delphine Chedrus Art der Farbgebung sollte auch im Folgenden in den Werken Émile Bravos Verwendung finden und wie die eher klein gehaltenen Panels zu einem der Markenzeichen von Bravos Comicheften werden. 

Während die Namensangabe des jeweiligen Koloristen zwar nicht auf dem Cover, jedoch auf dem Titelblatt vorhanden ist, wird der jeweilige Übersetzer lediglich im Impressum der Hefte genannt. Hierbei stellt dieser Comic allerdings keine Abweichung von der Norm dar, vielmehr ist dies die gängige Praxis in der Comicbranche. Dies liegt sicherlich an der Stellung, die Übersetzer und Übersetzungen allgemein im Vergleich zum Originalwerk in unserem Kulturraum einnehmen, denn die Übersetzung und somit auch der Übersetzer sollen hinter den ursprünglichen Text und dessen Autor zurücktreten, doch muss bei einem solchen Vorgehen auch immer bedacht werden, dass eine Übersetzung lediglich eine der möglichen Interpretationen der Originialsprache abbilden kann. Ebendieser Sachverhalt tut sich in der Übertragung von einzelnen Spezial- oder eigens vom Autoren geschaffenen Begriffen, aber auch an der im Comic entwickelten Formsprache und Bildsymbolik am besten kund. Dass die Übersetzer nur im Impressum aufgeführt sind, bedingt, dass des Öfteren nicht an sie gedacht wird. Der Einfluss von Übersetzern ist jedoch gerade an Stellen elementar, an denen eine Entscheidung bezüglich einer Anpassung in die zu übersetzende Sprache nötig ist. Durch ihre Wahl können Bedeutungsverengungen oder -erweiterungen herbeigeführt werden. Auch für Émile Bravos „Pauls fantastische Abenteuer“ ist ein Blick auf den Übersetzer zumindest interessant, denn dieser ändert sich ebenfalls mit dem zweiten Band. Im ersten Band stammen die Übersetzungen von Christian Gasser und in den nachfolgenden Bänden von Ulrich Pröfrock. Die Herstellung (Derya Yildirim) und das Lettering (Björn Liebchen) bleiben hingegen unverändert.
© Carlsen Verlag
Zudem verwundert es, dass der Protagonist dieser Comicbände im Deutschen Paul und nicht – wie im Original – Julius (Jules) heißt, da der Name Julius in Deutschland doch nicht ganz unbekannt ist. Solche Namensänderungen, die wohl durchgeführt werden, um dem Absatz des Comics auf dem deutschen Markt zu helfen, sind nicht unüblich, wurden in jüngerer Zeit aber immer seltener. Die prominentesten Umbenennungsfälle wären wohl Tim (Tintin) aus „Tim und Struppi“ („Les aventures de Tintin“), Miraculix (Panoramix) aus Asterix oder JoJo (Gaston Lagaffe), bei dem die Änderung jedoch nur in Rolf Kaukas zweiwöchig erscheinendem Primo-Magazin in den 1980er Jahren stattfand. In letzterem Fall wurde bei neuerlicher Veröffentlichung der Geschichten vom Carlsen Verlag der eigentliche Name des Protagonisten beibehalten. Bei der Änderung von Figurennamen stellt sich zwangsläufig immer auch die Frage der Motivation dieser Veränderung, vor allem da die Vergleichbarkeit mit der ursprünglichen Fassung via Internet so leicht wie niemals zuvor ist. Es soll hier keinesfalls der Eindruck entstehen, dass wechselnde Übersetzer oder Anpassungen an eine andere Sprache schlecht seien, hiervon kann keine Rede sein, allerdings nur dann, wenn Verweise und Wortspiele des eigentlichen Autors oder der übersetzenden Vorgänger mit in die eigene Übertragung fließen, sodass der Leser eine gewisse Kontinuität, wenn sie im Originalwerk vorhanden ist, auch in der Übertragung erkennen kann. Neben den bereits benannten Personen, die für den Produktionsprozess eines Comics erforderlich sind, spielen weitere nicht genannte eine wichtige Rolle. Für den Inhalt mit am ausschlaggebendsten dürfte der Lektor sein und dies schon bei der Entstehung der jeweiligen gezeichneten Geschichte. Die Bedeutung, die dem Lektor zu kommt, ist leicht ersichtlich, wenn man beispielsweise Ute Schneiders 2005 veröffentlichtes Buch "Der unsichtbare Zweite - Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag" als Referenz heranzieht und berücksichtigt, welchen Einfluss Lektoren mitunter auf die von ihnen betreuten Schriftsteller hatten.

Anhand all dieser in die Produktion einbezogenen Personen und unter Berücksichtigung der Verkaufszahlen mancher Werke ist es nicht verwunderlich, dass manche Comicserien nicht im Ganzen übersetzt, sondern während ihrer Publikation abgebrochen werden (müssen). Dass die Leser dieser beendeten Serien mit ihrer Einstellung unzufrieden sind, liegt hierbei auf der Hand. Aus dieser Frustration heraus, so zumindest die eigene Darstellung, entwickelte sich seit 2007 ein Comicverlag für das Wiedererstehen eingestellter Serien, der Verlag Finix Comics. Finix Comics ist ein Verein, der sich mit seinen momentan etwa 160 Mitgliedern um eine Realisierung der nicht übersetzten, noch fehlenden Bände einer abgebrochenen (frankobelgischen) Comicserie bemüht. Im April 2008 begann der Verein über den gegründeten gleichnamigen Verlag in Comicreihen fehlende Bände zu veröffentlichen. Hierdurch und durch den Vertrieb neuer Werke, die bisher nicht in deutscher Übersetzung erschienen waren, es aber laut diesem Verein und seinen Mitgliedern wert seien, versucht Finix Comics vorhandene Lücken des deutschsprachigen Comicmarktes zu schließen. 
Im Namen der Comicleser kann man nur hoffen, dass dies auch weiterhin geschehen kann, und dass mehr Frühwerke oder einzelne kurze Comics in Sammelbänden, die sonst der Leserschaft nicht unbedingt zugänglich wären, herausgebracht werden.



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Die in diesem Beitrag verwendeten Bilder entstammen dem vom Carlsen Verlag der Presse zur Verfügung gestellten Material.

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