Ob der Animationsfilm ein Genre des Films oder aber ein eigenständiges Medium ist, darüber kann trefflich gestritten werden, aber nicht hier. Denn dieser Blogeintrag versucht vielmehr eine theoretisch unterfütterte Betrachtung der Bildebene animierter Filme zu vollziehen und kann diese Frage in seiner Argumentation somit glücklicherweise gänzlich ignorieren. Worauf noch die beiden Animes „Perfect Blue“ von Satoshi Kon (1963-2010) und „Mind Game“ von Masaaki Yuasa (1965-) ein wenig näher beäugt werden sollen.
Gemeinsam mit dem, was im Film über die Sprache mitgeteilt wird, bilden Musik und Geräusche, die alle gleichberechtigt nebeneinander stehen, ineinander übergehen oder in ihrer Ausprägung unterschiedlich stark gewichtet sein können, die tonale Filmebene.[1] Diese „[s]ound effects lenken die Aufmerksamkeit
auf die konstitutive Verschränkung von Bild und Ton im Film“[2] und übernehmen somit die Funktion „die Rezeption der
Bildebene zu steuern.“[3] Durch die hierdurch entstehenden auditiven Collagen, mit
etwa „Straßenlärm, Kinderstimmen und Radio-Werbesprüchen“[4],
wird für die Rezipienten eine „Raumillusion zu Gunsten einer existierenden aber
nicht in ihrer Totalität sichtbaren Welt“[5]
geschaffen, wodurch das einzelne Filmbild lediglich als Ausschnitt jener Welt
wahrgenommen wird. Die Musik betreffend, soll
in diesem Beitrag nur auf die unterschiedlichen Wirkungsweisen von eigens
komponierter, funktionaler[6]
Filmmusik und der Verwendung von „präexistenter Musik“[7]
hingewiesen werden. Während extra für den Film geschaffene Musik die Sinneseindrücke
des Publikums verstärken soll, wird bei jenen Musikzitaten bereits existierender Stücke „deren Ursprungskontext
mittransportiert. Ein musikalisches Zitat kann [somit] durch seinen
ursprünglichen Verwendungszusammenhang zusätzliche Bedeutungsebenen
erschließen“[8] und so den Zuschauenden mehr als nur das Geschilderte präsentieren. Dennoch bedarf der Film respektive der Animationsfilm keinesfalls
der Vermittlung von Informationen auf der tonalen Ebene, um sein Narrativ zu
entfalten. Schon am retrospektiven Blick zurück auf die Anfänge des Films beziehungsweise des animierten Films wird ersichtlich, dass das Essentielle für
dieses Medium/diese Medien die visuelle Informationsübermittlung ist, soll
heißen das Sichtbare.
© RAPID EYE MOVIES / picti mundi |
„Zu den verschiedenen
Arten des Animationsfilms zählen Zeichentrick, Puppentrick, Silhouettenfilm und
Legetrick (oder cut-out animation),
bei dem mit aus Materialien wie Karton oder Papier ausgeschnittenen Figuren
gearbeitet wird. Außerdem der Objekttrick – hierbei setzen sich Gegenstände
scheinbar eigenständig in Bewegung – und als neustes Mitglied die Computeranimation.
Daneben existieren aber auch weniger bekannte Spielarten wie die Sandanimation,
bei der der Künstler auf einer von unten beleuchteten Glasplatte den Sand
modelliert; das Einritzen von Figuren, Formen und Zeichen direkt auf dem
Zelluloid-Schwarzfilmstreifen; oder die Pixillation, bei der Menschen, Tiere
und Objekte einzelbildweise fotografiert und ihre Bewegungen bei der Projektion
bewusst diskontinuierlich verzerrt dargestellt werden.“[18] „In dem am 17. August 1908
uraufgeführten Fantasmagorie schlagen
weiß umrandete Figuren auf schwarzem Hintergrund vier Minuten lang etliche
Kapriolen. Erstmals dämmert hier die Ahnung von einer signifikanten
Eigenständigkeit der Animation herauf.“[19]
Eine Eigenschaft, die aus dem Filmbild erwächst und der sich im Folgenden
dieser Beitrag anhand besagter Animes widmen wird. „In Japan […] reicht die
Trickfilmgeschichte bis etwa 1913 zurück und umfasst auf dem Weg bis zur 1958
abgeschlossenen Industrialisierung der Animation ausschließlich
Unterhaltungscartoons, Lehr- und Propagandaserien sowie fürs Kino adaptierte Folklorestoffe.
Es dauerte bis 1960, bevor die ersten unabhängig produzierten Kurzfilme
entstehen, die animierten Werke Yoji Kuris[1928-].“[20]
Ungeachtet dem im Vergleich
beispielsweise mit den Vereinigten Staaten von Amerika verzögerten Beginn des
japanischen Animationsfilms, wie auch dessen lange Zeit wenig mannigfaltige
Erscheinung, machen heutzutage die Werke aus Japan „den größten Anteil der
weltweiten Produktion von Animationsfilmen“[21]
aus. „Das Wort anime (hergeleitet vom englischen
Begriff animation) bezeichnet auf
Japanisch Trickfilme, allerdings in einem engeren Sinn: Da nach dem Zweiten
Weltkrieg, als der japanische Markt nach Jahren der Abschottung für westliche,
vor allem amerikanische Waren wieder geöffnet wurde, zunächst ausschließlich
Zeichentrickfilme den Weg nach Fernost fanden, werden unter ,Anime‘ bis heute
lediglich Filme verstanden.“[22]
Jedoch lässt sich vermittels Rotoscoping, dem in jüngster Zeit unentbehrlich
scheinenden Einsatz von CGI-Animationen oder auch neueren experimentelleren
Projekten, wie etwa der Umsetzung „The Diary of Ochibi“ der Nihon Animator Expo oder dem Abspann des gerade im japanischen Fernsehen zu sehenden Animes "Osomatsu-san", eine
Begriffserweiterung des Terminus „Anime“ ausmachen, die den Begriff dem
westlichen Verständnis annähert.
Um den genauen Unterschied
der gezeichneten Bilder von „Perfect Blue“ und „Mind Game“ nachvollziehen zu
können, bedarf es eines flüchtigen Blicks auf die Entstehungsgeschichte des amerikanischen
Zeichentrickfilms, genauer auf Walt Disneys (1901-1966) und auf Tex Averys (1908-1980)
Schaffen. „Seine Vormachtstellung erreichte Disney nicht
als genialer Erfinder, zu dem er bisweilen stilisiert wird. Viele der in seinen
Filmen verwendeten Innovationen hatten andere bereits vorher entwickelt oder
getestet. Disney aber hatte als Unternehmer und Produzent ein einzigartiges
Gespür, wann die richtige Zeit für neue Ideen und Techniken gekommen war und
was das Publikum auf der Leinwand sehen wollte. Er führte die noch heute
üblichen Stroyboards ein – grobe Zeichnung, die in chronologischer Folge die
Schlüsselmomente eines Filmes markieren.“[23]
Vor allem sein erster abendfüllender Zeichentrickfilm sollte für seine Arbeiten
wegweisend werden, denn „[m]it einem Einspielergebnis von damals acht Millionen
Dollar und begeisterten Kritiken wurde Schneewittchen
ein durchschlagender Erfolg. Weil es keine eigene Kategorie für animierte
Langfilme gab, erhielt Walt Disney einen Sonder-Oscar, dazu symbolisch sieben
kleine Statuen für die Zwerge. Der Animationsfilm war plötzlich in aller Munde
und wurde als eigene Kunstform wahrgenommen. Aber eben nur Disneys Vorstellung
vom Trickfilm mit seiner Detailfreude, seinen Liedern und seinem Streben nach
größtmöglichem Realismus. Während im Bereich des Kurzfilms avantgardistische
Künstler auch weiterhin in Erscheinung traten, war der Longmétrage-Film, von
wenigen Ausnahmen abgesehen, jahrzehntelang in Walt Disneys übermächtigem
Schatten gefangen.“[24]
Tex Avery seinerseits „interessierte sich nicht für ,the illusion of life‘, die
Disney mehr und mehr zum Trickfilmideal erhob, sondern stellte gerade das
Künstliche in der Animation aus und übersteigerte es. Man kann sagen, dass in Tex
Averys Filmen der Zeichentrick zu sich selbst kam: als eine Kunstform, die eine
ganz eigenständige Ästhetik entwickelte und Bilder und Handlungsverläufe
präsentierte, die nicht ihresgleichen in der wirklichen Welt hatten.“[25]
Mannigfache Aspekte prägen das gezeichnete Filmbild und steuern ihren
individuellen Bestandteil zum Ganzen bei, zu nennen wären unter anderem die
Farbgebung, die Flüssigkeit der Animation, Helldunkelkontraste, die Perspektive
und vor allem der Zeichenstil,[26]
jedoch bilden jene beiden Variationen, die Disneys und die Averys, die
historischen Unterschiede zwischen den zwei
zeichnerischen Ansätzen von Kon und Yuasa.[27]
© RAPID EYE MOVIES / picti mundi |
© RAPID EYE MOVIES / picti mundi |
Hier noch eine kurze Auflistung von Videobeiträgen, die sich ihrerseits auf eine interessante Weise mit der Bildlichkeit von Animes beschäftigt haben:
- Cinematography (In Anime)
- The Tale of Princess Kaguya - Kaguya's Breakdown
- What Is The Treachery of Images?
- Satoshi Kon - Editing Space & Time
- The Art of Animators (or Sakuga)
- Visual Cohesion and Flow in Anime
- Breaking Down One Punch Man's Incredible Animation | Animator Spotlight
- Ghost In The Shell: Identity in Space
[1] Vgl. Klaus Kanzog: Einführung in die Filmphilologie. S. 21-23
und Nina Heiß: Erzähltheorie des Films. S. 155. [2] Nina Heiß: Erzähltheorie des Films. S.
158. [3] Nina Heiß: Erzähltheorie des Films. S.
159. [4] Achim Haag: „Deine Sehnsucht kann keiner
stillen“. S. 160. [5] Nicole Mahne: Transmediale Erzähltheorie.
S. 96. [6]
Vgl. Nina Heiß: Erzähltheorie des
Films. S. 167. [7] Ebd. [8] Nina Heiß: Erzähltheorie des Films. S.
167. [9] Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres.
Animationsfilm. S.9. [10] Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres.
Animationsfilm. S.10-11,[11] Vgl. Edgar Reitz: Liebe zum Kino. S. 13 f. [12] Achim Haag: „Deine Sehnsucht kann keiner stillen“. S. 195. [13] Achim Haag: „Deine Sehnsucht kann keiner stillen“. S. 145. [14] Achim Haag: „Deine Sehnsucht kann keiner stillen“. S. 191. [15] Achim Haag: „Deine Sehnsucht kann keiner stillen“. S. 191. [16] Walter Dadek: Das Filmmedium. S. 139. [17] Vgl. Walter Dadek: Das Filmmedium. S. 139
f und Nina Heiß: Erzähltheorie des Films. S. 127. [18] Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres.
Animationsfilm. S.10. [19] Thomas Basgier: Pioniere des Animationsfilms. In: Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres.
Animationsfilm. S.37,[20] Thomas Basgier: Internationale Kurzfilme der 60er uund 70er Jahre. In: Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres.
Animationsfilm. S. 138. [21] Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres.
Animationsfilm. S.14.[22] Andeas Platthaus: Akira. In: Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres.
Animationsfilm. S.207-208. [23] Andreas Friedrich und Dominique Henz: Schneewittchen und die sieben Zwerge. In: Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres.
Animationsfilm. S. 63-64. [24] Ebd. S. 67. [25] Andreas Platthaus: Frühe Kurzfilme der Hollywood-Studios. In: Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres.
Animationsfilm. S. 78. [26] Bei diesen
unterschiedlichen Möglichkeiten das jeweils zeichnerisch Dargestellte zu
realisieren, stellt sich mitunter die Frage, inwieweit sich die persönlichen
Präferenzen eines Künstlers und somit auch sein Wesen in seiner entsprechenden
Wahl wiederfinden lassen. Diese Frage soll hier jedoch nicht beantwortet werden,
da sie abschließend wohl auch gar nicht beantwortet werden kann. Beim Spektrum
der Auffassungen, die sich hierzu bereits geäußert haben, können zwei Pole ausgemacht
werden, die schon beide von Oscar Wildes fiktivem Künstler Basil Hallward für
die Malerei in „Das Bildnis des Dorian Gray“ artikuliert wurden. Erstens (auf
Seite 11): „,[J]edes Porträt, das mit Gefühl gemalt wurde, ist ein Porträt des
Künstlers, nicht dessen, der ihn dafür gesessen hat. Dieser ist nur Zufall, nur
die Gelegenheit. Nicht er wird durch den Maler offenbart, vielmehr ist es der
Maler selbst, der sich auf der farbigen Leinwand offenbart.[…]‘“[26]
Und zweitens (auf Seite 123): „,[…]Kunst ist stets abstrakter, als wir meinen.
Form und Farbe erzählen uns von Form und Farbe – nichts weiter. Oft scheint es
mir, als verberge die Kunst den Künstler weit mehr, als sie ihn jemals
offenbart.‘[…]“ [27] In gewisser Weise lässt sich dieser
Kontrast zwischen dem Realem und dem Abstrakten auch im Medium Film und seinen
Anfängen wiederfinden. Man denke nur an die Arbeiten der Brüder Lumière und an
die Georges Méliès‘.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen