Dienstag, 1. Dezember 2015

Die Vorgeschichte des Comics?

Der Einfluss auf die sequentielle Kunst
Hieronymus Boschs "Garten der Lüste" als Exempel
Innenansicht von H. Boschs "Garten der Lüste"
Monika Schmitz-Emans schreibt auf der dritten Seite ihres Werks "Literatur-Comics":
Einerseits ist es sinnvoll, den Comic im Kontext der langen Geschichte der Bilderzählung  zu sehen, andererseitspricht auch vieles dafür, seine eigentliche Geschichte erst mit dem späten 19. Jahrhundert beginnen zu lassen. In dieser Zeit gehen die Verleger der großen Tages- und Wochenzeitungen dazu über, komische Bildgeschichten abzudrucken, die schnell das Interesse einer breiten Leserschaft finden.
Dieser Blogeintrag wird einen Blick auf die Bildabfolge von Bilderzählungen und somit auch auf den geschichtlichen Kontext werfen. 
Wilhelm Busch: "Julchen, Ein festlicher Morgen, Blatt 18"
Bis zur Veröffentlichung der Werke von Wilhelm Busch (1832-1908) und L. Meggendorfer (1847-1925), die die Wende hin zu einer "engen Bildfolge" realisierten, 
herrschte in der Bildgeschichte die 'weite Bildfolge' vor. Hier liegen die Einzelbilder zeitlich recht weit auseinander. Die Bildabfolge reiht Höhepunkte, Stationen eines umfangreichen Geschehens aneinander. Das fordert vom Rezipienten aufmerksames Betrachten und assoziatives, kombinierendes Geschick, um den Zusammenhang der Bilder zu erfassen. Oft gelingt das nur, weil der erzählte Stoff schon vertraut ist oder, wie in vielen Bilderbogen- oder Bilderbuchgeschichten dieser Erzählweise, ein erzählender Untertext Verbindungen herstellt. 
Diese hier von Dietrich Grünewald auf Seite 13 seiner Publikation "Comics" beschriebenen "weiten Bildabfolge" bestehen denn auch etwa in den Bilderserien von William Hogarth (1697-1764), in manchen Darstellung der Arma Christi oder auch in den Triptychen Hieronymus Boschs (1450-1516). 

William Hogarths "Folge 'Die Wahlen'[3]"

William Hogarths "Folge 'Die Wahlen'[4]"

Im Folgenden wird sich dieser Beitrag nun mit Boschs Werk "Der Garten der Lüste" befassen, dessen mittlere Tafel der "Garten der Lüste" auch als "Imaginäres Paradies" benannt ist, und dessen linke Tafel das "Paradies" und dessen rechte Tafel die "Hölle" abbilden und dementsprechend auch nach jenen Abbildungen bezeichnet wurden.
Das Eigentümlichste an ebendiesem Triptychon Hieronymus Boschs ist, dass sich "[j]eder Bibelkenner […] schon damals eingestehen [musste], dass er im Hauptbild des Triptychons auf eine Fiktion stieß, denn dieser unschuldige Zustand einer paradiesischen Menschheit hat nicht nur in der biblischen Erzählung niemals bestanden, sondern wird auch durch die Logik der Bibel völlig ausgeschlossen."[1]
Für Bosch war diese Darstellung zur damaligen Zeiten, in der mitunter äußerst rigeros gegen Ketzer vorgegangen wurde, deswegen möglich, weil er auf der ersten Tafel seines Triptychons das Paradies ohne den Sündenfall zeigt[2] und somit ein "Imaginäres Paradies" entwirft, welches erzählt, wie sich das Paradies entwickelt haben würde, wenn es den Sündenfall niemals gegeben hätte. Bosch löst sich in der künstlerischen Darstellung der Bibelmotive somit erstmals von einem reinen Nacherzählen.[3] Was jedoch keineswegs bedeutete, dass sich Hieronymus Bosch in der Darstellung des "Imaginären Paradies" abseits der Bibeltexte bewegte, ganz im Gegenteil hielt er sich getreu an deren Ausführungen und zeichnete das Paradies als jenen Ort der Wollust, als der er in der Bibel beschrieben wird. Dieser Sachverhalt verdeutlicht unter anderem die akribische Anordnung der vier Flüsse[4], der Ländereien, der detaillierten Bilder der Lust[5] oder der gemalten Kombination eines Baumes und eines Brunnens, die nach unterschiedlichen Bibelstellen jeweils in der Mitte des Paradieses stehen sollen.[6]
  
"Der Höllenflügel […] [, in dem] [d]er Mensch […], statt in der Natur, in einer selbstgeschaffenen Zivilisation"[7] lebt, die im Hintergrund brennt, dient bei Bosch als Kulisse für all die Qualen, die die Menschen in jener Hölle erleiden müssen. Bei diesen Qualen handelt es sich jedoch um solche, die einen menschlichen Ursprung haben, beispielsweise zeigt der Vordergrund eine Bestraffung in einer Wirtshausszene samt Glücksspiel, womit deutlich wird,[8] dass bei Bosch "[d]ie Welt […] nicht mehr auf die Hölle zu warten […] [braucht, denn] [i]n den Händen der Menschen war sie selbst schon zur Hölle geworden."[9] Die Hölle Hieronymus Boschs repräsentiert solchermaßen auch die Qualen der noch lebenden Menschen und somit auch das Jammertal, durch welches sie zu gehen haben. Diese Betrachtung der Paradiesmotivik mit ihrer weiten Bildabfolge zeigt gerade im Kontrast zu den üblichen Zeitabständen zwischen moderneren Comicpanels, die überwiegend eine enge Bildabfolge aufweisen, wie sehr sich bestimmte malerischen beziehungsweise zeichnerischen abgebildete Narrative unterscheiden können
Außenflügel von H. Boschs "Der Garten der Lüste"

[1] Hieronymus Bosch. Garten der Lüste. S. 86 f.
[2] „Die Ausblendung des Sündenfalls ist eine Anomalie“ heißt es in Hans Beltings Werk „Hieronymus Bosch. Garten der Lüste.“ auf S. 25, denn ebenda wird angegeben, dass „anders als auf dem Paradiesflügel von Boschs Heuwagen oder seinem Gerichtsbild in Wien, […] der Sündenfall [hier fehlt], der sonst die Hauptsache ist, weil er das Tor zu einer Geschichte nach dem Paradies aufstößt“.
[3] Vgl. Hieronymus Bosch. Garten der Lüste. S. 87.
[4] Vgl. Evangelische Kirche in Deutschland und Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Die Bibel. Nach der Übersetzung von Martin Luthers. S. 4. 
[5] Vgl. Die Bibel. (siehe Fußnote 4) S. 3 und 5.
[6] Vgl. Hieronymus Bosch. Garten der Lüste. S. 87 f.
[7] Hieronymus Bosch. Garten der Lüste. S. 35.
[8] Hieronymus Bosch. Garten der Lüste. S. 35 ff.
[9] Hieronymus Bosch. Garten der Lüste. S.35.

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