Bei
alle jenen schönen Definitionen von Räumen und Raummodellen, die es
gibt, ich sage nur Heterotopien und Nicht-Orte, sind für diesen
Blogeintrag nur drei Elemente des Raumes wichtig, das Außen, das
Innen und die Schwelle.
Dem
architektonisch errichten Raum nähert man sich von Außen und muss
durch einen Durchgang, um ins Innere zu gelangen. Bereits an der
äußeren Erscheinung eines Gebäudes, lässt sich für gewöhnlich
auch viel über sein Inneres ableiten, auch wenn dies mit unter trügerisch sein mag. Diese Gebäude erzählen aber nicht nur über
ihr Äußeres etwas über ihr Inneres, sondern immer auch zugleich
etwas über die Welt, in der und über den Kontext, unter dem sie
erbaut wurden.
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Das gezeichnete Filmbild ermöglicht gerade in diesen Aspekten gegenüber
dem realweltlichen filmischen Abbilden völlig kreative Freiheit, die
auf die verschiedensten Arten ihren Ausdruck finden kann. Im
Idealfall ermöglicht es die Phantasie des Zeichners eins zu eins
umzusetzen.
Gezeichnete
Schwellen können demnach jedwede Form annehmen, sie können im
Einklang mit dem architektonischen Verständnis eines Durchganges
oder aber fantastischer und irrealer Natur sein, wodurch sie nur
innerhalb dieses Werkes und seiner Erzählung zu einer Schwelle
werden, in der Realität jedoch keine Entsprechung haben.
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Die
Beschaffenheit eines Raums lässt sich häufig schon an Kleinigkeiten
pars pro toto fassen und hierdurch ebenfalls die Lebenswirklichkeit der dort wohnhaften Figuren. Somit kann ein Kleinigkeit den
Gesamteindruck eines kompletten Raums - gegebenenfalls sogar eines
ganze Lebens - enthalten und dem Publikum dies innerhalb eines
Augenblickes vermitteln.
Allerdings
ist ein Raum unweigerlich mehr als nur ein Ding, welches ihn gerade
repräsentieren soll. Denn es ist vor allem das gleichzeitige
Nebeneinander von unterschiedlichen Dingen, welches die feine Nuancen
erkennbar macht, soll heißen, dass der Gesamteindruck immer eine
Vielschichtigkeit besitzt, die im Blick auf ein oder wenige Details
verloren geht.
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Dieser
Blogeintrag wird sich im Folgenden anhand von vier Titeln intensiver
mit den dort vorhandenen Raumstrukturen und ihrer Aussage für jedes
einzelne von diesen Werken befassen, hierbei werde ich nicht umhin
kommen teils wirklich explizit auf den Inhalt der entsprechenden
Animes einzugehen. Diese
sind „Ein Landarzt“, „Sangatsu no Lion“, „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ und „Yojouhan Shinwa Taikei“.
Die äußerst textgetreue Animeadaption von Kafkas „Ein Landarzt“ besticht vordergründig vor allem durch ihren eigenwilligen Zeichenstil, der für Werke Koji Yamamuras nicht ganz unüblich ist, hier aber noch einmal besonders bizarr inszeniert wird. Das Wohnhaus, als architektonisch kulturell gebildeter Raum, wird hier als Schutz vor schroffer Natur und gefährdender Bedrängnis etabliert.
Einem
Landarzt, der des Nachts einen weit entfernten arg Erkrankten
besuchen soll, scheint dies aufgrund des Todes seines Pferds und dem
Mangel eines Leihtieres zuerst nicht möglich zu sein. Jedoch
entdeckt der Landarzt sodann in einem eigentlich leerstehenden
Schweinestall, also innerhalb der Mauern seines Hofes, einen Fremden
mit zwei Pferden. Dieser überlässt ihm bereitwillig die beiden
Pferde, lehnt es jedoch ab den Arzt bei der nächtlichen Fahrt zu begleiten, sondern möchte sich stattdessen an des alten Landarztes
Dienstmädchen Rosa vergreifen, ganz zum Schrecken ihrer.
Dennoch
begibt sich der Landarzt zu jenem Patienten, wird dort von dessen
Verwandtschaft in eine kärgliche Hütte geführt, worauf er damit
beginnt den Schwerkranken zu behandeln. Unvermittelt strecken die
beiden Pferde ihre Häupter durch die vormals verschlossenen Fenster
und rufen dem Landarzt durch ihr Durchbrechen der Schwelle von Innen-
und Außenraum abermals den Unbekannten ins Bewusstsein, welchen er
mit der schutzlosen Rosa in seinem nun von ihm verlassenen Hofe weiß.
Räume
werden hier hauptsächlich als Abgrenzungen zu etwas anderem verstanden und legen somit an dieser Stelle auf die verschiedenen
Grenzüberschreitungen den Fokus des Gezeigten.
In
„Die Legende der Prinzessin Kaguya“ wird die Schwelle dagegen
vielmehr zum eigentlich Ort der Handlung, denn der Film evoziert
gewissermaßen den Übergang als Raum an sich. Was bereits mit
Kaguyas Geburt ersichtlich ist. Sie kommt aus einer Bambusknospe, aus
einer zuvor durch den alten Mann nicht erfahrbaren Wirklichkeit, in
den ihm zugänglichen Bambushain nieder und reift alsdann bei ihm und
dessen Frau in einer Bergsiedlung heran. Diese Hütte, in der sie
darauf heranwächst, ist zwar als bestehender Raum begreifbar,
allerdings scheint diese Kaguya nicht recht fassen zu können, da sie
sich über ihre eigene Zeit der räumlichen Begrenzungen entzieht,
wodurch sie an dieser Stelle des Anime mit den übrigen Figuren nicht
dasselbe Raum-Zeit-Kontinuum zu teilen scheint.
In
welchem Maße die Schwelle hier als Ort des Geschehens akzentuiert
wird, wird vor allem an Kaguyas Bewegungen und den nächsten Bildern
des Filmes deutlich, da sie große Strecken keineswegs zu Fuß
zurücklegt, sondern in einem Karren reist, was selbst für ihre
Überfahrt zum Mond gilt. Die Male, wenn sie sich vermeintlich frei
ohne derartiges Fuhrwerk über weite Entfernungen zu bewegen scheint,
wird dies nachträglich stets als durch sie imaginiert oder erträumt
verbildlicht.
Mit
ihrer Ankunft in der Hauptstadt hat sie zwar ihre Lokalität
gewechselt, jedoch ist das größere Haus, welches die Familie von
nun an bewohnt - noch mehr als es zuvor die Berghütte war - ein Raum
des Übergangs. Was simultan gleich mehrere Fortschritts- und
hierdurch Schwellenelemente vereint.
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Das
lebendigte Püppchen einer Prinzessin, als welches sie der alte
Bambussammler fand und welches in den Händen seiner Frau zu einem
wirklichen Baby wurde, soll ebendort im nun wieder erstarkten Bereich
der (adoptiv)väterlichen Wünsche, zu einer edlen Dame werden, was
am Einkleiden mit teureren Stoffen visualisiert wird. Für eben
dieses Vorhaben wird extra eine Erzieherin eingestellt, die dafür
sorgen soll, dass sich das Kind zu einer angesehenen Erwachsenen, die
alle kulturellen Gepflogenheiten beherrscht, entwickelt. Ferner wird
Kaguya an eben diesem Ort zu einer Frau werden und sodann ihren Namen
erhalten, was sie als körperlich und gesellschaftlich gereift zeigt.
Dass sie hierauf nicht nur einige Edelleute ehelichen wollen, gleich
welche Mühen sie hierfür auch zu erbringen haben, sondern sie von
diesem Hause aus auch wieder zurück zum Mond kehren wird, bildet
auch diese Räumlichkeiten, die noch dazu so groß sind, dass der
Film es nicht vermag sie als Ganzes zu fassen, als eine weitere zu
überschreitende Schwelle ab. Dass das Publikum am Ende des Werks
Isao Takahatas, durch das Zurückblicken Kaguyas auf die Erde und
der Visualisierung von Kaguya als Baby auf dem Antlitz des Vollmondes,
weiß dass sie wieder auf die Erde zurückkehren wird, wie es im von
ihr und anderen Figuren im Verlauf des Animes mehrfach angestimmten
Lied heißt, bildet abschließend den letzten Übergang, welchen der
Film für die Figur Kaguya bereit hält.
Dementsprechend
gibt es zwar viele konkret erfassbare Räume innerhalb von „Die
Legende der Prinzessin Kaguya“, allerdings dienen diese - wie
bereits gesagt - nur als Übergangs- respektive Durchgangsräume für
Kaguya, sodass die Räumlichkeit innerhalb dieses Filmes zur durchschreitbaren Schwelle wird.
Was
sich auch im filmischen Motiv der Kirschblüten wiederfindet, die in
gewisser Weise Kaguyas Heranwachsen, Erblühen und Vergehen - als aus der gewohnten Zeit enthoben - symbolisch aufgreifen.
In
der elften Folge von „Sangatsu no Lion“ werden Räume ganz anders
wahrnehmbar als bei den beiden bisherigen Beispielen. Schwellen und
das Äußere sind dort nicht das, was relevant ist, sondern
stattdessen ist es das Innere des Raum. Rei Kiriyamas Zimmer wird
während seiner Krankheit als ein Raum dargestellt, in den nur
schwach das Sonnenlicht eindringt und der zwar unordentlich ist, aber
zeitgleich durch seine verhältnismäßige Leere auch unbelebt und
unbewohnt wirkt. Aber selbst eine Folge später ist das Zimmer,
obgleich nun ordentlich und erhellt, immer noch unwohnlich und gibt
beispielhaft die Einsamkeit seines Bewohners kund. Alles dort
befindliche ist spärlich, funktional und weist keine eigene
Persönlichkeit oder gar Geschichte auf.
Der
Kontrast seiner Wohnung zum Haus der Familie Kawamoto, den Rei
Kiriyama in der 12. Episode des Animes selbst schmerzlich erfasst,
verbildlicht sich in jenen gerade benannten Aspekten seines Inventars
am deutlichsten. Das Haus der Familie Kawamoto, was vornehmlich an
der Einrichtung der Zimmer erkennbar ist, besteht aus verschieden,
bunt zusammen getragenen Gegenständen, die älter, in reichlicher
Menge vorhanden und farbenfroh sind. Zudem verweisen die Möbel,
kleinen Dekorationsobjekte - etwa auf dem Fernsehapparat - und
insbesondere der Familienschrein auf eine lebhafte Vergangenheit, die
sowohl dem Zimmer selbst, als auch der Familie Kawamoto und ihrer
Beziehung zu diesem Raum innewohnt. Die verschiedenen Räume mit
ihrem jeweilen Inventar dienen in „Sangatsu no Lion“ also als ein
Abbild des Innenlebens ihrer Bewohner.
In
„Yojouhan Shinwa Taikei“ geht es weit weniger um jenen gerade
geschilderten Vergleich von Innenräumen, mit den entsprechenden
Implikationen auf das Leben der dort wohnhaften Figuren, auch wenn
der viereinhalb Tatamimatten fassende Raum in diesem Werk Masaki
Yuasas durchaus durch sein Inventar zahlreiche Verweise auf seinen
namenlosen Bewohner enthält. Die architektonische Bedeutung, auf die
sich dieser Anime fokussiert, was an der zehnten Folge „Die
viereinhalb Tatamimatten Ideologie“ besonders trefflich eingefangen
wird, ist der geschlossene Raum. Es mag zwar eine Türe, wie auch ein
Fenster geben, nur erweisen sich diese Schwellen beim versuchten Durchqueren als unpassierbar oder um es genauer zu fassen, diese
Schwellen sind zwar durchlässig, jedoch führen sie nicht in ein
normalerweise zu erwartbares Außen, sondern stattdessen nur - ein
ums andere Mal - neuerlich in ein quasi identisches Innen. Selbst
durch das Durchbrechen von Wänden - die gewissermaßen die
Raumstruktur abbilden - gelingt es dem unbenannten Ich-Erzähler
dieses Animes nicht außerhalb dieses einen Raums zu gelangen. Dieser
neue Innenraum, der sich nach jedem Durchgang durch die Schwelle vor
der namenlosen Hauptfigur öffnet, ist zwar stets eine Variation des
alten Innenraumes, den dieser kurz zuvor verließ und somit nicht mit
dem neuen in jeder Einzelheit identisch, allerdings ist die jeweils
neu vorgefundene Abweichung, wie interessant sie für den nicht
benannten Protagonist auch erscheinen mag, doch nicht das ersehnte
außerhalb.
Der
einzelne Innenraum wird für ihn in dieser zehnte Folge zu einem
schier undurchdringlich erscheinenden Irrgarten. Erst in der letzten
Folge des Animes, die den Namen „Das Ende des Zeitalters der
viereinhalb Tatamimatten“ trägt, wird sich zeigen, dass dieser
Innenraum kein Irrgarten, sondern ein sich ins beinahe Endlose
verzweigende Labyrinth ist.
Während
ein Irrgarten viele verzweigte Wege und Sackgassen in seiner
Konzeption besitzt, zeichnet sich ein Labyrinth durch eine logisch
strukturierte Linienführung aus, die keine Abwege kennt und in
verschnörkelten Kurven unweigerlich ins Innere des Labyrinths führt.
Ein Irrgarten raubt dem Besucher seine Orientierung, während ein
Labyrinth es ihm ermöglicht, dass er gedankenversunken einen
vorbestimmten Weg hinter sich bringen kann. In der griechischen
Mythologie birgt das Innere des Labyrinths den Minotaurus, ein
Menschen fressendes Wesen, das ebendort weggesperrt ist. Der Minotaurus mag ein Untier sein, dem geopfert wird, ist aber ebenfalls
auch ein Resultat der Verfehlungen von Minos gegenüber Poseidon und
als solches ein Sinnbild dafür, wie Minos versuchte seinen einstigen
Fehler zu verstecken.
Erst
mit dem Tod des Minotaurus ist dieses Zeugnis des Wortbruchs Minos
anscheinend aus der Welt geschafft.
Tatami
Galaxys namenloser Ich-Erzähler, der einen Teil des Labyrinth aus
Innenräumen 80 Tage lang durchwandert, gelangt schließlich in
ebenjenem Raum, in dem er einst startete und an dieser Stelle zum
eigentlichen Inneren des Labyrinths.
Um
jedoch hierauf wieder in die ersehnte Außenwelt zu gelangen, muss er
sich jenem Ungeheuer stellen, welches ihn ebendort in der Mitte des
Labyrinths erwartet. Er muss sich selbst gegenüber treten und
realisieren, dass das von ihm als böse Prinzip empfundenes Gegenüber namens Ozu nicht
ein solches ist und er muss erkennen, was seine eigenen Wünsche und Bedürfnis sind. Erst dieses Gewahrwerden seiner selbst öffnet ihm
eine Schwelle - passenderweise in der Gestalt eines Mottenschwarms -
die ihm sodann den Weg weist, welchen er fortan zu gehen habe. Das Ergreifen der Gelegenheit, die die ganze Zeit direkt vor seiner Nase
hing, führt ihn aus der Verflechtung der Innenräume nach Außen und
auf den ihm bestimmten Weg.
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