Freitag, 1. Dezember 2017

Die Freiheit der Assoziation - Die poetischen Animationen Tomomi Komazakis

Dieser Blogeintrag soll sich mit der japanischen Zeichnerin, Animatorin und Regisseurin Tomomi Komazaki beschäftigen
Die Machart mancher Montage mag mitunter möglicherweise mangelhaft sein, hierbei jedoch beileibe nicht wirkungslos, denn wirklich jede Montage setzt Verschiedenartiges in eine zuvor nicht dagewesene Beziehung und formt dadurch etwas Neues. Die vielseitige Verwendung von „Bild, Sprache und Geräusche oder Musik“1 erzeugt in ihrer montierten Gesamtheit erst das mannigfaltige Medium Film. Das hier Gesagte wird sich in seinem Fortgang besonders auf das filmische Bild und seine Bilderfolge fokussieren.
Generell werden, etwas verallgemeinernd, drei Montageformen unterschieden: „Man spricht von einer Parallel- oder Simultanmontage, wenn räumlich getrennte Ereignisse so ineinander montiert werden, daß der Eindruck der Gleichzeitigkeit entsteht. Die beschleunigte Montage verwendet rasche Schnittfolgen, um die Dynamik eines Geschehens zu unterstreichen. [Und] [d]ie Eisensteinsche Attraktionsmontage schließlich nutzt, grob gesprochen, den inhaltlichen Kontrast unterschiedlicher Einstellungen dazu, die symbolische Kraft der Einzelbilder zu verdichten.“2 Dementsprechend reiht Sergej Eisenstein mit seiner Attraktionsmontage, einem Bewusstseinsstrom gleich, Einstellung an Einstellung, Bild an Bild, und setzt mittels des filmischen Schnitts zwei separate Szenen so zusammen, dass sie zu einem Sinnganzen verschmelzen, welches sich seitens der Zuschauenden solcherart zu einer spezifischen Sichtweise des Gesehenen zusammenfügt, dass vom Gezeigten jeweils nur eine bestimmte Bedeutung transportiert wird. 

Eisenstein schrieb hierüber: „Meiner Ansicht nach ist aber Montage nicht ein aus aufeinanderfolgenden Stücken zusammengesetzter Gedanke, sondern ein Gedanke, der im Zusammenprall zweier voneinander unabhängiger Stücke ENTSTEHT. [...] Wie in der japanischen Hieroglyphik, wo zwei selbstständige ideographische Zeichen nebeneinandergestellt zu einem Begriff explodieren3. Denn „[e]ine Attraktion ist jedes aggressive Moment [...], das den Zuschauer einer Einwirkung auf die Sinne oder Psyche aussetzt, die experimentell überprüft und mathematisch berechnet ist auf bestimmte emotionelle Erschütterungen des Aufnehmenden. Diese stellen in ihrer Gesamtheit ihrerseits einzig und allein die Bedingung dafür dar, daß die ideelle Seite des Gezeigten [...] aufgenommen wird“4. Ergo entfaltet ein einzelner Eindruck erst in seinem Wirken im Bilderfluss sein eigentliche Wirkung. Im Animationsfilm, bei dem „vom Künstler eine Reihe von Einzelbildern erschaffen und die Illusion der Bewegung somit erzeugt“5 wird, „lassen sich jegliche beliebigen Bilderfolgen miteinander verknüpfen. Es herrscht völlige kreative Freiheit.“6 Im Animationsfilm zeige sich also im Zusammenspiel zweier Szenen, dass hier nicht nur durch die Verbindung von verschiedenen Sequenzen etwas Neues entstehen kann, wie bei der Eisensteinsche Attraktionsmontage, sondern stattdessen sogar im Zwischenspiel dieser Szenen eine Sinnhaftigkeit durch einen Übergang übermittelt werden kann. Etwas das wohl am trefflichsten als METAMORPHOSE zu bezeichnen ist. 

Die animierten Kurzfilme Tomomi Komazakis sind wohl das beste Beispiel solcher metamorphorisierenden Zwischenstadien, die ihrerseits zwischen vermeintlich Unbestimm- und Bestimmbarem mäandern. Denn dort fangen fluide fliesende Filmbilder flüchtig vielfältig verbundene Verweise vermittels von verschiedenen frei verknüpften Vorstellungen und Eindrücken auf, den Vorstellungen der Animatorin und den Eindrücken der Zuschauenden. Die Zuschauenden sind demnach genötigt ihrerseits den Filmbildern individuell Eindrücke und Verbindungen abzutrotzen, nur um sie sodann für sich selbst mit Sinn Ergebendem zu füllen. In dieser unentwegten Transformation tauchen assoziative Deutungen auf, die teils eineindeutig durch das Abgebildete evoziert sind, klar - im Verständnis von Eisenstein - von den das Filmbild Betrachtenden erkannt und gelesen werden, aber teils auch durch die Unschärfe des Übergangs derart ungenau sind, dass sie vom Einzelnen entweder gar nicht oder aber höchst subjektiv ausgelegt werden und eben hier, in der individuellen Deutung von etwas, dass nicht mit Sicherheit benannt werden kann, zeigt sich die Freiheit, die die Assoziation in ein animiertes Bild einschreiben kann.  
Denn „[w]ir projizieren unsere mentalen auf physische Bilder. Unser eigene Imagination nistet sich in den Blick ein, den wir auf die Bilder werfen“7 und sorgt somit dafür, dass die Bedeutung von etwas zu einer situativen und individuellen Sichtweise auf dieses etwas wird. Diese Unsicherheit in der Zuschreibung von etwas Vagem, nutzt Tomomi Komazaki als Element ihrer Animationen bewusst aus und erzeugt derart Bilder zwischen den Bildern, die von unkonkreten aber auch konkret erscheinenden Eingebungen entworfen werden, sowohl von ihr als auch vom entsprechenden Publikum. Jedoch verwendet sie in ihren animierten Kurzfilmen durchaus auch eine Montage von Einzelbildern, die sich mehr oder weniger eng der Mechanik der Eisensteinschen Attraktionsmontage annimmt, ohne dass sich hier etwas Kryptisches dazwischen mischen würde.
In einem Interview, dass sie anlässlich der sechsten „Geidai Animation“ und ihrem damals jüngst erschienenen Kurzfilm gab, war zu lesen, dass ihr bei diesem Werk am wichtigsten gewesen sei, dass beim Ansehen ein sofortiges Verstehen ihrer Ideen und des Geschehen möglich wäre. Denn obzwar sie sich mit dem Thema Haar hier denkbar klar war, was darstellbar war, nämlich eine Protagonistin mit einem Haarkomplex, war ihr Vorgehen zwar geplant, jedoch hielt sie sich nicht akribisch an jene Stichworte, die sie nach der Themenfindungen, niedergeschrieben oder in skizzenhaften Zeichnungen gesammelt hatte.8  
 
Ihre Werke scheinen allesamt dergestalt überlegt angelegt zu sein, dass sie unentwegt bewegt wirken, was den wild variierenden Wechsel von verschiedenen Vorstellungen, visuell vermittelt, trefflich rahmt und eine Offenheit der narrativen Struktur erzeugt, die den meisten kurzen Animationsfilmen von Tomomi Komazaki anhaftet und diese auf die unterschiedlichsten Weisen interpretierbar, aber vorderhand erfahrbar macht. 
Was in diesem Blogeintrag gesagt wurde bezieht sich vordergründig auf Tomomi Komazakis universitäre oder anderweitig ungebundenen Arbeiten, die ihr Schaffen in seiner freisten und kreativsten Form erkennbar werden ließ, und weit weniger auf ihre werbende und entwerfende Erwerbsarbeit des letzten Jahres, auch wenn diesen Animationen gleichfalls mancher interessanter Aspekt innewohnt. 
1 Sabine Kyora: (Massen-) Medien. Intermedialität und Subjektivität bei Alfred Döblin. S. 276.
2 Philipp Löser: Mediensimulation als Schreibstrategie: Film, Mündlichkeit und Hypertext in postmoderner Literatur. S. 53.
3 Sergej Eisenstein: Dramaturgie der Film-Form. S. 280.
4 Sergej Eisenstein: Montage der Attraktionen S. 60
5 Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres. Animationsfilm. S.10-11
6 Andreas Friedrich (Hrsg.): Filmgenres. Animationsfilm. S.10-11
7 Hans Belting: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. S. 134. 
8 Vgl. http://geidaianimation06dawn.blogspot.de/2015/02/blog-post_76.html

Belting, Hans: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. C. H. Beck Verlag, München 2005.
Eisenstein, Sergej: Montage der Attraktionen. In: Franz-Josef Albersmeier: Texte zur Theorie des Films. Reclam, Stuttgart 2003. S. 58-69.
Eisenstein, Sergej: Dramaturgie der Film-Form. In: Albersmeier, Franz-Josef 2003. Texte zur Theorie des Films. Reclam, Stuttgart 2003. S. 275-304.
Friedrich, Andreas (Hrsg.): Filmgenres. Animationsfilm. Reclam, Stuttgart 2012. 
Kyora, Sabine: (Massen-) Medien. Intermedialität und Subjektivität bei Alfred Döblin. In: Stefan Keppler-Tasaki: Internationales Alfred-Döblin-Kolloquium- Berlin 2011. Massen und Medien bei Alfred Döblin. Jahrbuch für Interationale Germanistik. Reihe A - Band 107. Peter Lang AG, Bern u.a. 2014.
Löser, Philipp: Mediensimulation als Schreibstrategie: Film, Mündlichkeit und Hypertext in postmoderner Literatur. Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 1999.
http://geidaianimation06dawn.blogspot.de/2015/02/blog-post_76.html, am 20.11.2017.

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