Szenarist Yann (Leppennetier),
Zeichner Olivier Schwartz und Laurence Croix – für die Colourisierung zuständig
– legen mit ihrem Band „Die Leopardenfrau“ die Fortsetzung ihres aus dem Jahre
2009 stammenden „Spirou“-Abenteuers „Le Groom vert-de-gris“ vor.
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Am 21. April 1938 erschien erstmals das „Spirou“-Magazin
(„Le Journal de Spirou“) mit der von Rob-Vel (Robert Velter) gezeichneten titelgebenden
Serie „Spirou“ auf dem Deckblatt. Das Comicmagazin, das für eine junge
franko-belgische Leserschaft konzipiert wurde, war vom Verleger Jean Dupuis als
Gegenpol zu den amerikanischen Comicserien erdacht, die in „Le Journal de
Mickey“ seit 1934 abgedruckt wurden. Die Geschichten rund um Spirou – einem
kleinen Hotelpagen in roter Livree –, der heutzutage zu den bekanntesten
europäischen Comicfiguren gehört, entwickelten sich schnell weiter, und lösten
den kleinen Jungen von seiner Pagentätigkeit und sandten ihn um die Welt.
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Wirkliche Bekanntheit erlangte die „Spirou“-Serie allerdings erst unter André
Franquin, dem dritten Zeichner der Serie, welcher in den 1950er Jahren wesentliche
Neuerungen in den Comic einführte, beispielsweise war die Titelfigur inzwischen
erwachsen geworden, hatte Freundschaften geschlossen und die üblen Vorhaben
einiger schurkischer Gegenspieler vereitelt.
Zu ebendieser Zeit wetteiferten die beiden belgischen Comicmagazine mit ihren vorzeige Zeichnern um die Gunst
der Leser; Franquin mit dem „Spirou“-Magazin gegen Hergé (Georges Prosper Remi)
mit dem „Tintin“-Magazin. Das „Tintin“-Magazin erschien erst im Jahre 1946,
nachdem „Tim und Struppi“(„Les aventures de Tintin“) zuvor ab 1929 in „Le Petit Vingtième“, der Jugendbeilage
einer katholischen Tageszeitung, veröffentlicht worden war. Diese Tageszeitung wurde nach
der Besatzung Belgiens durch Deutschland im Jahre 1940 eingestellt, worauf die Geschichten von „Tim
und Struppi“ als ein täglicher Comicstrip in der Zeitung „Le Soir“ zu lesen waren. Dass das „Tintin“-Magazin jedoch ab 1993 eingestellt
werden musste, hat nichts mit dem Wettstreit der beiden Magazine zu tun,
sondern begründet sich allein darin, dass Hergé zehn Jahre zuvor gestorben war
und „Tim und Struppi“, die namengebende Serie des Magazins, seitdem nicht mehr fortgesetzt
wurde, was das Magazin sein Aushängeschild und hierdurch Teile seiner
Leserschaft kostete. Anders verhielt es sich mit dem „Spirou“-Magazin und deren
Titelserie, deren Autoren und Zeichner über die Jahre hinweg wechselten.
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Bis
zum heutigen Tag haben an der regulären „Spirou“-Serie zwölf Zeichner und
Autoren gearbeitet, hinzukommen noch seit 2006 Sonderbände in denen Autoren und
Zeichner abgekoppelt von der laufenden Serie und deren Ereignissen die Figuren
meist in einem in sich geschlossenen Band auf ihre Weise interpretieren
durften. Diese Sonderbände boten auch Yoann Chivard und Fabien Vehlmann mit „Die
steinernen Riesen“ 2006 die Möglichkeit sich mit der „Spirou“-Serie zu beschäftigen, ehe sie die
laufende Serie im Jahr 2010 übernahmen, aber auch Zeichner wie Emile Bravo - mit seinem
„Porträt eines Helden als junger Tor“ 2008 - nahmen diese Gelegenheit wahr und
versuchten ihre eigenen Interpretationen der von Rob-Vel geschaffenen Figur.
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Beim neusten „Spirou und Fantasio Spezial“-Band
handelt es sich um einen solchen Sonderband und die Fortsetzung des von Yann (Leppennetier),
Olivier Schwartz und Laurence Croix geschaffenen Spirouabenteuers „Le Groom vert-de-gris“ aus dem Jahre 2009 („OperationFledermaus“ 2010 bei Carlsen).
Yann und Schwartz schildern in ihrer erste
„Spirou“-Geschichte „Operation Fledermaus“ die Lebenssituation im von der
Deutschen Wehrmacht besetzten Brüssel des Jahres 1942 und wie die beiden
Freunde Spirou, Page im von der Gestapo als Einsatzzentralle umfunktionierten
Hotel Moustic, und Fantasio, der für die unter deutscher Kontrolle stehende Tageszeitung
„Le Soir“ als Journalist arbeitet, im Rahmen ihrer Möglichkeit Widerstand gegen
die Besatzer leisten.
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„Operation Fledermaus“ endet mit dem Einzug alliierter
Streitkräfte in Belgien im Jahre 1944 und der Befreiung Brüssels. Der daran anschließende Band, dessen etappenweise
Veröffentlichung im „Spirou“-Magazin noch unter der Bezeichnung „Spirou et le
fétiche des Marolles“ („Spirou und der Fetisch der Marollen“) vonstattenging,
bekam erst als Sammelband den Namen „Die Leopardenfrau“ („La Femme Léopard“
2014).
Die Geschichte von „Die Leopardenfrau“ setzt mit den Worten „1946, der
Nazi-Schraubstock ist nur noch eine ferne Erinnerung … Es ist der bleierne
Mantel einer erbarmungslosen Gluthitze, der Brüssel gegenwärtig erdrückt…“ ein.
Dieser „Spirou“-Band versucht eine Geschichte – die mit den fantastischen und abenteuerlichen
Elementen eines André Franquins versehen ist – zu erzählen, in der die
Traumatisierung der Brüsseler Bewohner:innen durch die Besatzungszeit und gleichzeitig
der damals vorherrschende Kolonialdiskurs verhandelt werden. Schauplatz hierfür ist das wieder im erstehenden und nun auch von amerikanischen Soldaten und
Geschäftsleuten bevölkerte Brüssel. Bereits in „Operation Fledermaus“
verschoben Yann und Schwartz die bisherige (Bild-)Sprache der
„Spirou“-Comicserie und brachten viel expliziter als zuvor Liebe und
Sexualität, aber auch menschliche Grausamkeit und den Tod in ihrer Geschichte
unter. Diese Ausrichtung auf das Reale und die damit verbundene Ernsthaftigkeit
findet sich gleichfalls in „Die Leopardenfrau“ wieder, unter anderem in einem
Gespräch zwischen dem Chefportier Entresol und dem Pagen Spirou im Hotel
Moustic (Entresol: „Darf ich dich daran erinnern, dass der Page Spirou letztes
Jahr voller Stolz gekündigt hat… und dann jämmerlich zurückgekommen ist, um um
Wiedereinstellung zu bitten.“ Spirou: „Niemand
will einen alten Hotelpagen, der die Kommandantur beherbergt hat… und wie es
scheint bin ich zu jung, um einen Erwachsenenberuf auszuüben…“) und der Aussage
Fantasios über seinen Freund (Fantasio: „Leer…? Und die da auch…?! Echt übel!
Dieser Schluckspecht von Page hat mir nicht einen Tropfen gelassen! Seufz! Der
arme Spirou hat sich nie von dem Verschwinden der jungen Audrey in den
finsteren Todeslagern der Nazis erholt!“).
Auch in der Figur des Colonel Van
Praag, der seiner eignen Aussage nach „die Nazis an der Spitze [s]einer
tapferen Soldaten mitten im kongolesischen Dschungel bekämpft“ hat und während
seines Aufenthalts im Brüssel des Jahres 1946 auf die Katzen auf den
Hausdächern der Stadt schießt, ist diese Ernsthaftigkeit, aber vor allem jedoch
das Spannungsgefüge dieses Szenarios inhärent.
In seinen Wesenszügen ähnelt
Colonel Van Praag sehr dem von Yves Chaland und Yann im „Spirou“-Ableger „Stählerne
Herzen“ (1990 bei XfürU) geschaffenen Georg Leopold und somit einem
rückwärtsgewandten Geist, der sich zurück in alte Zeiten wünscht, in denen die
Kolonialisten noch als Helden gesehen wurden.
Darüber hinaus gibt es
beispielsweise was die „Gorillaroboter“ betrifft, die auf dem Deckblatt dieses
„Spirou“-Bandes zu sehen sind, ebenfalls Parallelen zum Werk „Stählerne Herzen“ wie im Anhang von „Die
Leopardenfrau“ nachzulesen ist. Die titelgebende Leopardenfrau soll, so heißt es
ebenda, über eine ähnliche Figurenkonzeption Yanns in „Stählerne Herzen“ im
Ursprung auf Hergés „Tim im Kongo“ („Tintin au Congo“ 1930 eine schwarzweiß
Fassung und 1946 eine teilweise zensierte, farbige Neufassung) zurückgehen. Allerdings
ist es wohl nicht besonders geschickt, geschweige denn ratsam, in einem Comic,
der die Kolonialgeschichte behandeln will, Elemente aus Hergés „Tim im Kongo“
zu übernehmen, schließlich wurde dieser nicht zu Unrecht und gerade unter den
Vorzeichen eines sich inzwischen glücklicherweise gewandelten Diskurses des Öfteren für seine rassistischen Darstellungen gerügt. Das Titelbild, welches
die Leopardenfrau als Jungfrau
in Nöten (demoiselle en détresse, damsel in distress) und Spirou als den wackeren Retter zeigt, verkennt den Inhalt des von Yann, Schwartz und Croix
geschaffenen „Spirou“-Band doch durchaus und ist vermutlich einer imaginierten
Verkaufsförderung durch eine derart drastische Aufmachung geschuldet;
allerdings ist dies bereits bei der französischen Vorlage der Fall.
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Am Ende dieser in sich geschlossenen Geschichte und
der dort zu lesenden Texteile: „Lest die Fortsetzung dieses spannenden Abenteuers
in ,Der Meister der schwarzen Hostien‘.“ hat man jedoch das Gefühl, dass die
eigentliche Erzählung erst jetzt beginnt. Was also schlussendlich bleibt ist
eine auf mehreren Ebenen vielfältige Geschichte und das Ausharren auf die
nachfolgende Publikation.
_______
Vgl. „La Femme Léopard“: http://www.spirou.com/album/le-spirou-de-07.php, „Le Journal de Spirou“: http://www.spirou.com/journal/index.php, allgemeine Informationen zum Brüsseler Marollen-Viertel, einem der älteren Stadtviertel: http://www.brussels.be/artdet.cfm/5629, Pressestimmen zu „Tim im Kongo“ und den rassistischen Darstellungen: ,http://www.nytimes.com/1999/01/08/world/kinshasa-journal-tintin-at-70-colonialism-s-comic-book-puppet.html?scp=1&sq=rhinoceros%20belgium%20war%20tintin&st=cse&pagewanted=print, http://www.neues-deutschland.de/artikel/811712.die-kritik-setzt-sich-nicht-durch.html, http://www.neues-deutschland.de/artikel/811732.laenderuebergreifender-rassismusstreit-um-tim-und-struppi.html und https://www.deutschlandfunkkultur.de/umstrittene-neuauflage-von-tim-im-kongo-tim-struppi-und-der.2156.de.html?dram:article_id=440726.
Rassistische
Darstellungen in Comics unter anderem bei Hergé hat der südafrikanische Texter
und Zeichner Anton Kannemeyer aufgegriffen und sie in seinen Zeichnungen
solcherart überzeichnet, dass die impliziten Aussagen der Bilder entlarvt
wurden. Seit September dieses Jahres ist nun auch erstmals ein ins Deutsche
übersetzter Comic Kannemeyers unter dem Titel „Papa in Afrika“ erhältlich.
Einen genaueren Eindruck gewährt die dreizehnseitige Leseprobe des
avant-verlages. Link: http://issuu.com/avant-verlag/docs/papa_in_afrika_leseprobe/1?e=5259815/8928363.
Die in diesem Beitrag
verwendeten Bilder entstammen dem vom Carlsen Verlag der Presse zur Verfügung
gestellten Material.
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